Demographischer Wandel verändert Entsorgungslandschaft gravierend

Noch zehn Kilometer bis zum nächsten Stopp. Frank Peters lenkt seinen Müllwagen durch eine leer stehende Plattenbausiedlung. Bald soll sie abgerissen werden. Als er endlich im verlassenen Dorf bei Frau Holler ankommt, steht keine Mülltonne vor der Tür. Die alte Dame schafft es nicht mehr, diese nach draußen zu schieben.

Frank Peters und Frau Holler leben im Jahr 2050. Zu diesem Zeitpunkt wird die deutsche Bevölkerung Prognosen des Statistischen Bundesamts zufolge um 16 Prozent geschrumpft sein. Demnach könnte Deutschland in 40 Jahren nur noch 69 Millionen Einwohner haben – der Schrumpfungsprozess wird aber nicht überall das gleiche Ausmaß erreichen. Einige Regionen wie das Ballungsgebiet München können sich sogar auf ein starkes Wachstum einstellen. Ein Bevölkerungsrückgang um bis zu 50 Prozent wird allerdings vor allem ostdeutschen Regionen bevorstehen.

Weniger Einwohner bedeuten weniger Abfall, weniger Abfall bedeutet Überkapazitäten in den Behandlungsanlagen. Ein solches Szenario hält Michael Schneider, Pressesprecher des Entsorgungskonzerns Remondis, für gut möglich: „Unsere Fahrer erwarten längere Fahrten auf dem Land. Die Mülltonnen werden vermutlich nur noch halb voll sein.“
Regional differenzierte Bevölkerungsentwicklung bis 2030 Schon jetzt sei der demographische Wandel für das deutschlandweit tätige Unternehmen eine große Herausforderung: In Ostdeutschland sieht sich der Entsorger mit entvölkerten Landstrichen und überalterten Stadtvierteln konfrontiert. Die Folge: Die Logistikkosten steigen, während die Ausgaben für die Behandlungsanlagen gleich bleiben – bei geringerer Auslastung. Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, „dann laufen wir Gefahr, in bestimmten Regionen überflüssig zu werden“, befürchtet Schneider. Deshalb wähle das Unternehmen die Standorte mit Bedacht aus: „Wir werden dort investieren, wo die Auswirkungen des demographischen Wandels nicht so extrem auftreten.“

Nachfrage nach regionalen Abfallprognosen

Zu den sogenannten Schrumpfungsregionen zählen auch das Ruhrgebiet und Nordhessen. Nach Berechnungen des Beratungsunternehmens Prognos werden sich bis zum Jahr 2030 von 439 Kreisen und kreisfreien Städten mehr als die Hälfte (54 Prozent) verkleinern. Der Bevölkerungsrückgang liegt dort bei jeweils 5 Prozent und mehr. Umgekehrt prognostiziert das Düsseldorfer Institut bei nur 6 Prozent der Orte ein Wachstum von mehr als 5 Prozent. Nicht umsonst rechnen die Unternehmensberater mit einer steigenden Nachfrage nach regionalen Abfallprognosen. Denn der demographische Wandel hat direkte Auswirkungen auf die Abfallwirtschaft. Jochen Hoffmeister von der Prognos AG hat es im September des vergangenen Jahres auf der Berliner Energie- und Abfallwirtschaftskonferenz vorgerechnet: Schon ein Rückgang von 5,2 Millionen Menschen bis zum Jahr 2030 könnte ein Minus von 1,025 Millionen Tonnen Haus- und Sperrmüll zur Folge haben, beim organischen Müll wären es 550.000 Tonnen weniger und bei den Wertstoffen 650.000 Tonnen.

Abfalldiskussion hinkt Entwicklung hinterher

„Die Entsorger haben ihre Anlagen in den letzten Jahren überdimensioniert“, stellt Christian Hohaus fest. Ältere Anlagen sollten nach Meinung des wissenschaftlichen Mitarbeiters am Fraunhofer Institut in der Abteilung Umwelt und Ressourcenlogistik geschlossen werden. Eine mögliche Lösung sei der Abfallimport, um dem großen Überangebot entgegenzusteuern.

„Der demographische Wandel ist ein schleichender Prozess. Eines Tages werden die Entsorger feststellen, dass sich auch die Zusammensetzung des Mülls ändern wird“, so Hohaus. Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes werden 2050 doppelt so viele ältere wie jüngere Menschen in Deutschland leben. Ändert sich damit auch das Wegwerf-Verhalten? Anders gefragt: Gehen ältere Menschen anders mit Abfall um? Diese Frage gibt den Wissenschaftlern Rätsel auf.

„Verbrennungsanlagen haben heute einen um 10 bis 15 Prozent höheren Heizwert als früher, das lässt auf eine veränderte Zusammensetzung des Mülls schließen“, erklärt Hohaus. „Sperrmüll hat zum Beispiel einen höheren Heizwert als Hausmüll.“ Ob aber ein Zusammenhang mit dem demographischen Wandel besteht, darüber kann er nur spekulieren. Den momentanen Einfluss der Altersstruktur auf das Abfallaufkommen hat Hoffmeister untersucht: Je höher der Anteil der über 60-Jährigen an der Gesamtbevölkerung, desto größer das Müllaufkommen.

Seiner Meinung nach hinkt die Diskussion der Entwicklung noch hinterher. „Die Entsorger neigen dazu zu sagen: Ich kümmere mich erst einmal um das, was heute auf dem Schreibtisch liegt und nicht um das, was in einigen Jahren auf mich zukommt.“ Seit 15 Jahren bezieht Hoffmeister bei seinen Abfallprognosen die Bevölkerungszahlen mit ein. Bisher hatten sie immer nur einen marginalen Einfluss auf das Abfallaufkommen, das in der Regel immer größer wurde. Das hat sich heutzutage geändert. Selbst in den Städten, denen Wachstum prognostiziert wird, kommen Herausforderungen in der Logistik auf die Entsorger zu. Das Fraunhofer Institut rechnet mit mehr Anfahrtspunkten, während die Anzahl der Schüttungen pro Tag und Tour konstant bleibt und die Sammelmenge abnimmt.

Abfallaufkommen ist abhängig von der Haushaltsgröße

Nach Prognos-Berechnungen wird bis 2030 die Anzahl der Menschen pro Wohnung oder Haus abnehmen. Gleichzeitig steigt die Anzahl der Haushalte. Der Trend geht zum 1,95-Personen-Haushalt, momentan liegt der Durchschnittswert noch bei 2,12 Personen. Hoffmeister konnte eine Korrelation zwischen der Haushaltsgröße und dem Abfallaufkommen feststellen: Je mehr Personen in einem Haushalt wohnen, desto geringer ist das Abfallaufkommen pro Bewohner. Das würde umgekehrt bedeuten, dass die Abfallmenge künftig eigentlich wieder steigen müsse.

Diese Annahme entkräftet Hoffmeister, zumindest was die Schrumpfungsregionen betrifft. Für ländliche Gegenden hat er ein wesentlich geringeres Hausmüllaufkommen pro Einwohner errechnet als für Stadtgebiete. Demnach sinkt die Müllmenge pro Kopf, je geringer die Kaufkraft ist. Die Überalterung führt in schrumpfenden Regionen zu kleineren Haushalten und zu einer sinkenden Kaufkraft. „Wenn sich künftig ganze Landstriche entleeren, muss man sich die Frage stellen, ob man dezentrale Anlagen stilllegt“, gibt Hoffmeister zu bedenken: „Es könnte auch die Frage der Gebührengerechtigkeit ins Spiel kommen: Wird es nicht zu teuer, wegen einer Mülltonne in ein Dorf zu fahren? Warum sollten die Städter mit ihren Abfallgebühren die Landbewohner subventionieren?“

Bei all den Diskussionen über das Abfallaufkommen sollten die Entsorger auch ein Auge auf ihr eigenes Unternehmen werfen. Das Fraunhofer Institut hat berechnet, dass künftig in mehr als der Hälfte aller kommunalen Abfallwirtschafts- und Stadtreinigungsbetriebe ein Viertel der Mitarbeiter älter als 50 Jahre sein wird, Tendenz steigend. Man müsse sich auch Gedanken über die Serviceleistungen machen, regt Hoffmeister an: „Für die alternde Kundschaft wird es zu anstrengend, die Mülltonnen selbst nach draußen zu schieben.“

Bei allen Risiken – einige Unternehmen werden auch von der „demographischen Rendite“ profitieren, ist sich Hoffmeister sicher. Es gibt bereits Pläne des Umweltbundesamts, wonach aus entvölkerten Landstrichen Nationalparks werden könnten. Vorher müssten allerdings Gebäude abgerissen und der Bauschutt weiterverwertet werden. Nach Szenarioberechnungen des Öko-Instituts wird das anthropogene Materiallager des Wohngebäudebestandes bis zum Jahr 2025 um etwa 20 Prozent auf über zwölf Milliarden Tonnen ansteigen.

Den Entsorgungsunternehmen rät Hoffmeister herauszufinden, ob sie in einer Wachstums- oder Schrumpfungsregion aktiv sind: „Dann können sich die Entsorger entweder zurücklehnen, ihre Investitionen radikal auf den Prüfstand stellen – oder sie versuchen, bei der demographischen Rendite mitzumischen.“

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