EuGH-Entscheidung: „Steine statt Brot“

Am 29. März hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) über den Schutz von Geschäftsgeheimnissen beim grenzüberschreitenden Streckenhandel mit Sekundärrohsoffen vor dem Europäischen Gerichtshof beraten und entschieden. Mit einem bedeutungsvollen „Steine statt Brot“, betitelt die Kanzlei Köhler & Klett Rechtsanwälte Partnerschaft ihre erste Anmerkung zur Entscheidung des EuGH.

Der EuGH hatte Ende März über die Vorlagefragen des Verwaltungsgerichts Mainz vom November 2010 betreffend den Schutz von Geschäftsgeheimnissen beim Streckenhandel mit (noch) als Abfall einzustufenden Sekundärrohstoffen der Grünen Liste entschieden, die grenzüberschreitend zur Verwertung verbracht werden. In dem vor dem Verwaltungsgericht Mainz anhängigen Rechtsstreit gehe es um die Frage, ob ein Streckenhändler in einer solchen Konstellation verpflichtet sei, in dem Dokument nach Anhang VII der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 über die Verbringung von Abfällen (Abfallverbringungsverordnung – VVA) den Erzeuger der Abfälle anzugeben und so gegenüber dem Empfänger der Abfälle, dem das Dokument am Ende des Verbringungsvorgangs zu übergeben ist, seine Bezugsquelle preiszugeben, schilder Köhler & Klett.

Der EuGH gelangt laut den Kölner Anwälten in seiner Entscheidung zunächst zu dem Ergebnis, dass Art. 18 VVA – bei rein sekundärrechtlicher Betrachtung – den Streckenhändler verpflichtet, den Erzeuger und damit seine als Geschäftsgeheimnis einzustufenden Bezugsquelle gegenüber dem Empfänger der Ware offen zu legen. Damit sei zu klären gewesen, ob Art. 18 VVA in dieser Auslegung mit dem höherrangigen EU-Primärrecht zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vereinbar ist. Das Verwaltungsgericht Mainz hatte seine diesbezügliche Frage an den EuGH wie folgt formuliert: „Wird Art. 18 Abs. 1 der genannten Verordnung durch Primärrecht zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen eingeschränkt?“

Dazu stelle der EuGH – unter Verweis auf die Charta der EU-Grundrechte und seine ständige Rechtsprechung – zunächst fest, dass der Schutz von Geschäftsgeheimnissen zum EU-Primärrecht gehört. Weiter führe er – sinngemäß – aus, dass angesichts des klaren Wortlauts des Art. 18 VVA auch unter dem Gesichtspunkt des EU-Primärrechts keine Einschränkung des Anwendungsbereichs dieser Regelung zum Schutz der Geschäftsgeheimnisse des Streckenhändlers möglich sei. Dieser Befund (keine Möglichkeit einer gegebenfalls erforderlichen primärrechtskonformen Auslegung) führe den EuGH schließlich zur Frage der Ungültigkeit des Art. 18 VVA wegen Unvereinbarkeit mit dem EU-Primärrecht.

Der Generalanwalt hatte diese Frage in seinen Schlussanträgen vom 8. November vergangenen Jahres geprüft und verneint. Der EuGH schließt sich dieser Auffassung nicht an, sondern lässt die Frage nach der Gültigkeit des Art. 18 VVA ausdrücklich offen. Zur Begründung führt er aus, das Verwaltungsgericht Mainz habe ihn nicht nach der Gültigkeit von Art. 18 VVA wegen möglicher Unvereinbarkeit mit dem EU-Primärrecht gefragt, sondern lediglich danach, ob dessen Anwendungsbereich aufgrund des EU-Primärrechts beschränkt werden könne. Davon abgesehen verfüge er nicht über ausreichende Tatsachenangaben, um über die Gültigkeit dieser Vorschrift entscheiden zu können.

„Das Vorgehen des EuGH ist mehr als unbefriedigend“

„Das Vorgehen des EuGH ist mehr als unbefriedigend, zumal der EuGH noch im September 2011 den Verfahrensbeteiligten ‚Fragen zur schriftlichen Beantwortungbis zum 4. Oktober 2011’ vorgelegt hat“, schreiben Köhler & Klett in ihrer Stellungnahme. Dieser vom EuGH schriftlich formulierte Fragenkatalog habe durchgängig der Klärung der Frage nach einer Ungültigkeit des Art. 18 VVA gedient. Gleich die erste Frage des EuGH lautete: „Sind für den Fall, dass der Gerichtshof zu dem Ergebnis kommen sollte, dass Art. 18 der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 vom 14. Juni 2006 über die Verbringung von Abfällen nur in dem Sinne ausgelegt werden kann, dass ein zwischengeschaltetes Unternehmen in der Lage der Klägerin des Ausgangsverfahrens verpflichtet ist, seinen Kunden die Identität der Abfallerzeuger preiszugeben, Art. 18 Abs. 1 Buchst. a dieser Verordnung und/oder das Dokument in Anhang VII angesichts des Eigentumsrechts, des Rechts auf freie Berufsausübung und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ungültig?“

Dieser – vom EuGH formulierte und an alle Mitgliedstaaten, an alle EU-Organe sowie an die Beteiligten des Ausgangsverfahrens adressierte – Fragenkatalog wurde laut Köhler & Klett nicht nur von den Beteiligten des nationalen Ausgangsverfahrens, sondern auch von der EU-Kommission und einigen Mitgliedstaaten in umfassenden Schriftsätzen beantwortet. Auch in der mündlichen Verhandlung am 26. Oktober 2011 vor dem EuGH sei es explizit um die Gültigkeit des Art. 18 VVA beziehungsweise des Dokuments nach Anhang VII gegangen. Insoweit sei nicht nachvollziehbar, warum sich der EuGH in seinem Urteil nunmehr auf eine derart formalistische Position zurückzieht, zumal er in seiner Rechtsprechung Vorlagefragen nationaler Gerichte, insbesondere solcher erster Instanz, regelmäßig im Sinne des offenkundig Gewollten interpretiert.

Lesen Sie auf der folgenden Seite, wie sich der weitere Verfahrensablauf gestaltet.

Weiterer Verfahrensablauf

Die nach der – in den Augen der Anwälte „engen Auslegung“ des Art. 18 VVA durch den EuGH entscheidende Frage, ob Art. 18 VVA beziehungsweise die dort in Verbindung mit dem Dokument nach Anhang VII vorgesehene Pflicht des Streckenhändlers, den Abfallerzeuger und damit seine Bezugsquelle gegenüber dem Empfänger offenzulegen, mit dem EU-Primärrecht (Schutz von Geschäftsgeheimnissen) vereinbar ist, habe der EuGH zwar angesprochen, aber – anders als der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen – nicht beantwortet.

Da diese Frage für das nationale Ausgangsverfahren vor der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit entscheidungserheblich ist und deutsche Verwaltungsgerichte nicht befugt sind, eine Norm des EU-Sekundärrechts für ungültig oder für unanwendbar zu erklären, ist diese Frage dem EuGH erneut vorzulegen. Dabei sollte verstärkt Berücksichtigung finden, dass die streitgegenständliche Pflicht nicht aus Art. 18 VVA folgt, sondern aus einer in dem Dokument nach Anhang VII enthaltenen amtlichen Anmerkung.

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