Staatsanwaltschaft erhebt Anklage im Envio-Verfahren

Die Staatsanwaltschaft Dortmund hat im Envio-Verfahren gegen vier Angeschuldigte die öffentliche Klage erhoben. Die Anklage richtet sich laut Staatsanwaltschaft gegen den verantwortlichen Geschäftsführer der Envio Recycling GmbH & Co.KG sowie gegen einen ehemaligen Betriebsleiter, einen externen Immissionsschutzbeauftragten und einen ehemaligen Werkstattmeister des Recycling-Unternehmens.

Grundlage der Anklage sei der im Mai 2011 fertig gestellte Schlussbericht der Ermittlungskommission „Staub“, die ein Jahr lang damit befasst war, die Betriebsabläufe auf dem ENVIO Gelände in der Kanalstraße 25 in Dortmunder Hafen zu untersuchen, teilt die Dortmunder Staatsanwaltschaft weiter mit. Zehn Kriminalbeamte, zwei Wirtschaftsinformatiker, ein Wirtschaftsreferent und drei Staatsanwälte hatten demnach 460 Aktenordner und Aktenmappen mit Betriebs- und Genehmigungsunterlagen, 200 digitale Datenträger, über 1000 Blutuntersuchungen, zahlreiche Boden-,Fege-,Wisch-,Staub-,Wasser-, Luftkonzentrations- und Sandproben auszuwerten.

Mehrere Gutachten zu den Bereichen Arbeitsmedizin, Toxikologie und Arbeitsschutz wurden in Auftrag gegeben. In 216 Zeugenvernehmungen seien insbesondere die Umstände bei An- und Ablieferungen von Material zum und vom Envio-Betriebsgelände in Dortmund, die Betriebsabläufe im Einzelnen und die Standards beim Arbeitsschutz untersucht worden. Von besonderer Bedeutung seien auch die Ergebnisse der Blut- und der Gesundheitskontrollen bei 86 Envio-Mitarbeitern, von denen mehr als 80 Prozent eine erhöhte Belastung mit einem oder mehreren der 209 bekannten PCB-Kongenere aufwiesen, so die Staatsanwaltschaft.

Die Envio Recycling GmbH& Co.KG beziehungsweise ihre Vorgänger befassten sich mit der Entsorgung des Gefahrstoffes PCB und der mit diesem Stoff kontaminierten Gerätschaften. Die Staatsanwaltschaft geht in ihrer Anklage davon aus, dass Geschäftsführung und Betriebsleitung zum Zwecke der Gewinnmaximierung in dem Zeitraum von Mai 2006 bis zur Stilllegung des Betriebes durch die Bezirksregierung am 20. Mai 2010 vorsätzlich gegen behördliche Vorgaben verstoßen haben und die PCB-Kontamination einer Vielzahl von in der Recyclinganlage beschäftigten Mitarbeitern, Leiharbeitern und Beschäftigten von Fremdfirmen zumindest billigend in Kauf nahmen.

Seit Mai 2006 sollen der Geschäftsführer und der Betriebsleiter der Envio-Anlage, die Behandlung von ursprünglich untertage eingelagerten PCB-belasteten Transformatoren – trotz Ablaufs einer behördlichen Frist für einen Probebetrieb – ohne Genehmigung fortgeführt haben, erklärt die Staatsanwaltschaft weiter. Die Transformatoren sollen verbotswidrig auf dem Gelände zwischengelagert und teilweise vor der Entsorgung im Freien geöffnet worden sein. Die Entfernung des PCB-haltigen Bindemittels aus den UTD-Trafos soll unsachgemäß, zum Beispiel ohne funktionierende Absaugeinrichtung, durchgeführt worden sein, wobei der kontaminierte Staub freigesetzt worden sein soll.

Die Behandlung anderer, PCB-ölhaltiger Trafos, soll entgegen der behördlichen Vorgaben nicht in einem geschlossenen System erfolgt sein, so dass PCB-Öl unkontrolliert auf den Boden der Halle 1 tropfen konnte. Auch die vom Unternehmen beschaffte Schutzkleidung sei nach dem Ergebnis eines Arbeitsschutzgutachtens in weiten Teilen für den Umgang mit PCB nicht geeignet gewesen.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Geschäftsführer und dem ehemaligen Betriebsleiter des Unternehmens auf dieser Grundlage den unerlaubten Umgang mit gefährlichen Abfällen, das unerlaubte Betreiben einer Abfallentsorgungsanlage und den unerlaubten Umgang mit gefährlichen Stoffen in einem besonders schweren Fall vor. Den beiden anderen Angeschuldigten wird Beihilfe zu dem Straftatbestand des unerlaubten Betreibens einer Abfallentsorgungsanlage zur Last gelegt.

Ein weiterer Anklagepunkt sei der Vorwurf der Körperverletzung in 51 Fällen. Es handele sich dabei um Envio-Beschäftigte, Leiharbeiter und Arbeitnehmer von Subunternehmen, die im Tatzeitraum auf dem Betriebsgelände tätig waren, gegenüber der Allgemeinbevölkerung überdurchschnittlich hoch belastet seien und für die eine andere Ursache der PCB-Belastung als die Tätigkeit in der Envio-Recyclinganlage nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft vernünftigerweise ausgeschlossen werden könne. Auch wenn der Ursachenzusammenhang zwischen einzelnen Krankheitsbildern und der PCB-Belastung sachverständig noch nicht endgültig bewertet werden konnte, kann nach Rechtsansicht der Staatsanwaltschaft die Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit bei den Betroffenen jeweils darin gefunden werden, dass PCB-bedingte Veränderungen im Organismus gesundheitliche Schäden auf längere Sicht signifikant wahrscheinlicher machen.

Die Anklage wurde beim Landgericht Dortmund erhoben. Die Strafkammer hat nun den Sachverhalt, die Schlüssigkeit der Anklagevorwürfe und die Rechtslage zu prüfen. Es obliegt dem Gericht zu entscheiden, ob die Anklage zur Verhandlung zugelassen wird.

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