Verzweifelt gesucht: Schrott

Millionen Tonnen E-Schrott warten darauf, in den Stoffkreislauf zurückzukehren. Die effiziente Behandlung lohnt sich, die Technologien stehen bereit.
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Wieso geht trotzdem so viel verloren? Über diese und andere Fragen wurde auf dem International Electronics Recycling Congress in Salzburg diskutiert. Deutlich wurde dabei: Der Zugang zu urbanen Minen und anderen Quellen muss schnellstens vereinfacht werden.

Auf dem International Electronics Recycling Congress (IERC) in Salzburg standen an zwei Tagen im Januar Recycling, Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit für Elektronikprodukte und ihre Komponenten im Fokus. Hannu Heiskanen, Vizepräsident für Recyclingrohstoffe bei Aurubis, hob hier die immense Bedeutung der Zirkularität für die Branche hervor. Die zunehmende Elektrifizierung identifizierte er als Treiberin einer langfristig wachsenden Nachfrage nach Kupfer und anderen Metallen. Anders sieht das beim Angebot aus: Ein paar neue Minen seien in Sicht, darüber hinaus sei es jedoch fraglich, wie viel Primärmaterial absehbar auf den Markt kommen könne. In Zahlen ausgedrückt: Über 6 Millionen Tonnen Sekundärkupfer gehe weltweit verloren. Es besteht also viel Potenzial fürs Recycling. „Das müssen wir nutzen“, so Heiskanen.

Dass die Potenziale zahlreich vorhanden sind, ihre Entfaltung aber sehr schwer sein kann, wurde in Salzburg oft spürbar. Jessica Saunders vom London College of Fashion gab einen Ausblick auf Kleidung mit Elek­tronikkomponenten etwa zur Steuerung von Smartphones oder für Medizinanwendungen. Ihr Vortrag verdeutlichte, dass den Alttextilsammlern schon bald das blühen könnte, womit E-Schrottverwerter und andere Recycler schon lange zu kämpfen haben: Batterie­brände, Explosionen, Anlagenausfälle. Saunders‘ Fazit: Elektroniktextilien werden nicht vom Markt verschwinden, sondern anteilsmäßig noch zunehmen. Entscheidend sei deshalb, intelligente und effektive Ideen für das Recycling zu entwickeln, die in der Praxis funktionieren: etwa die lokale Verwertung, einheitliche Kennzeichnung – und ein konsequent auf Kreislauffähigkeit ausgerichtetes Produktdesign.

Mehr Design for Recycling

Was von vornherein einfach rezyklierbar ge­­staltet wird, wird am ehesten zum Sekundärrohstoff: Beim IERC war diese Perspektive der kleinste gemeinsame Nenner. Immer wieder kam dabei die erweiterte Herstellerverantwortung (Extented Producer Responsibility, EPR) ins Gespräch. René-Louis Perrier von Ecologic berichtete über entsprechende Gesetze in Frankreich. Dort wurden 19 Produktsegmente deklariert, von denen Baustoffe das größte Segment darstellen, gefolgt von Verpackungen, Möbeln und Elektronik. Nicht alle Kategorien sind EU-reguliert, bei Baustoffen etwa wagt Frankreich einen Alleingang. 2020 wurden laut Perrier 1,7 Milliarden Euro ins System eingezahlt, für 2023 würden 2,5 Milliarden erwartet. Die Mittel werden unter anderem für Reparaturfonds verwendet. Reparaturläden können darauf zurückgreifen, rund 20 Prozent der Reparaturkosten werden dann aus den Fonds gezahlt, um die Reparatur für Verbraucher*innen vorteilhafter zu gestalten.

Von ähnlichen Bestrebungen berichtete Fanni Mézáros vom ungarischen Landesverband der Haushaltgeräteherstellervereinigung Applia. Ihre Organisation hat ein Handbuch für Techniker*innen herausgegeben, das die Reparatur moderner Haushaltsgeräte verbessern und vereinfachen soll; eine Publikation, die sich gezielt an Konsument*innen richtet, soll demnächst folgen. Auch Aleksander Jandric, Mitglied der internationalen Initiative Solving the E-waste Problem (Step) setzt Hoffnungen auf EPR-Ansätze, etwa um den Umgang mit E-Schrott in Lateinamerika und der Karibik zu verbessern.

Während die dortigen und die ungarischen EPR-Bestrebungen noch am Anfang stehen, ist man in Frankreich schon weiter. Perrier erklärte eine Modulierung, die es dem Gesetzgeber erlaubt, ökologisch vorteilhafte Produkte zu vergünstigen, ökologisch nachteilige hingegen zu verteuern. Sei es bisher um wenige Prozent des Endpreises gegangen, sei es künftig möglich, Preise um bis zu 20 Prozent zu modulieren. So sollen die Unterschiede zwischen den vorteilhaftesten und den nachteiligsten Produkten überkompensiert werden. Zusätzlich soll ein Malus einem ökologisch nachteiligen Produkt Wettbewerbsnachteile verschaffen.

Wie EPR verfolgt die Modulierung letztlich das Ziel, längerlebige und besser zu recycelnde Produkte auf den Markt zu bringen. Dass hierfür nicht nur Hersteller und Konsument*innen verantwortlich sind, zeigte auf dem IERC eine ganze Session über den Weg zu umweltfreundlicheren Materialien und Produkten. Schließlich fallen laut UN weltweit 53,6 Millionen Tonnen E-Schrott pro Jahr an, von denen nur 9,3 Millionen Tonnen umweltfreundlich verwertet werden, rief Chris Slijkhuis von MGG zu Beginn der Session in Erinnerung.

„Unklar“ sei die Behandlung hingegen bei 44,3 Millionen Tonnen. Was einerseits eine enorme Umweltbelastung impliziert, bezeichnete Slijkhuis andererseits als „riesigen Markt“ für Verwerter. Ihn zu erschließen ergibt also auch ökonomisch Sinn. Was sind die Hindernisse? Regulierungen wie die Basler Übereinkunft und die Abfallverbringungsverordnung der EU wurden auf dem Podium kritisiert, inklusive dem Schweiz-Ghana-Schreiben. Statt die sehr heterogenen Stoffströme vor dem Transport untersuchen zu müssen, sollten das in den Behandlungsstellen passieren; überhaupt müssten Transport und Transit vereinfacht werden, um eine umweltfreundliche Behandlung großer Mengen zu ermöglichen.

Mehr technologische Fortschritte

Dass immerhin die technologische Entwicklung voranschreitet, wurde auf dem IERC in mehreren Präsentationen deutlich, unter anderem über die Rückgewinnung von Indium aus LCDs, die Entwicklung von Smartphones und die Auswirkungen auf das Recycling sowie über Online-Analytik von Stoffströmen in Behandlungsanlagen in Echtzeit.

Alle technischen Hürden der ökologisch und ökonomisch vorteilhaften Verwertung lassen sich überwinden, wenn die Voraussetzungen stimmen – dies ist die positive Botschaft aus Salzburg. Zum Abschluss des Kongresses wandten sich die Sprecher*innen jedoch erneut den politischen, regulatorischen und gesellschaftlichen Hindernissen zu. Der abschließende Round Table sollte Antworten auf die Frage liefern, wie sich Regulierungsbehörden anregen lassen, eine globale Kreislaufwirtschaft zu ermöglichen.

Mehr Zusammenarbeit

Hersteller müssten an der Entwicklung stärker teilhaben dürfen, forderte in diesem Bezug Carolien van Brunschot von CEP. Lars Radowitz von Igneo forderte mehr Pfandsysteme, um die Sammelmengen zu erhöhen. Patrick Hertveld von Umicore hob die Bedeutung des Transports und der Notifizierungen hervor. Marc Affüpper von TSR kritisierte, die Recy­cler litten darunter, dass rechtliche Standards nicht harmonisiert seien und oft unterschiedlich interpretiert würden.

Um zu einer Kreislaufwirtschaft für Elektro- und Elektronikgeräte zu gelangen, müssten alle Beteiligten ihre Zusammenarbeit intensivieren, lautete das Plädoyer von Jean Cox-Kearns, Vorsitzende des IERC-Lenkungsausschusses. Während im Verlauf von zwei Tagen viel über Hersteller und Behandler, Politik und Gesetzgebung gesprochen wurde, kamen die Redner*innen auf eine Gruppe jedoch relativ selten zu sprechen: die Konsument*innen.

Eine Ausnahme war Olivier Francois von Galloo. Er berichtete im Rahmen der Auftaktpodiumsdiskussion, Kunden wie Re­nault fragten heute gezielt hohe Rezyklat­anteile an – anders als noch vor wenigen Jahren. Die Beweggründe: Je mehr Recycling im Produkt steckt, desto höher die Wertschätzung der Verbraucher*innen. Doch wie sollen Hersteller und Recycler die Sekundärmengen steigern, wenn sie nicht an die nötigen Materialien aus den urbanen Minen und anderen Quellen kommen?

„Zirkularität kann nicht auf linearem Denken basieren“, gab Slijkhuis zu bedenken, der den IERC Honorary Award erhalten hat. Auch er bezog die Kritik maßgeblich auf die Politik; wie die Gesetzgebung wurde sie in Salzburg für mangelndes Kreislaufbewusstsein gerügt. Die Erkenntnis, dass auch Hersteller mehr tun müssen, zog sich als Selbstverständlichkeit durch alle Sessions.

Doch wer alle Punkte des Kreises be­­trachtet, kommt früher oder später eben auch bei den Verbraucher*innen an. Damit sie die Relevanz der Zirkularität für die Rohstoffversorgung verstehen, müssten sie immer noch Fachveranstaltungen besuchen. Vielleicht ist genau das das Problem: Solange das neueste iPhone sofort lieferbar ist und die Automobilhersteller die Auswirkungen ihre Lieferengpässe auf wenige Modelle beschränken können, lässt die Mehrheit der Verbraucher*innen ihre alten Handys weiter in der Schublade liegen, wird weiterhin zu wenig Acht gegeben auf die richtige Entsorgung von E-Schrott und anderen Quellen für Sekundärrohstoffe.
Auf dem IERC-Podium waren zwei Tage lang gute Argumente zu hören, warum die Sammlung verbessert und die Mengen gesteigert werden müssen, und welche technologischen, politischen und gesetzgeberischen Möglichkeiten bestehen, darauf hinzuarbeiten. Die Branche weiß das. Jetzt ist es Zeit, die Botschaft in die breite Öffentlichkeit zu tragen und diejenigen zu adressieren, die ebenfalls Verantwortung tragen: Konsumentinnen und Konsumenten.Marius Schaub

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