Finanzielle Anreize besser steuern

Bei der Mehrwertsteuer gibt es aus unterschiedlichen Gründen zwei verschiedene Steuersätze. In manchen Fällen sind die Gründe für einen verminderten Steuersatz längst obsolet, in anderen aus ökologischer Sicht nachteilig.
Illustration: macrovector; freepik.com Foto Euro: E. Zillner

Im Auftrag des Umweltbundesamtes haben die FU Berlin, FÖS und das Öko-Institut in der Studie „Ökologische Finanzreform: Produktbezogene Anreize als Treiber umweltfreundlicher Produktions- und Konsumweisen Reformvorschläge für die Mehrwertsteuer“ untersucht, an welcher Stelle welche Änderungen vor allem aus ökologischer Sicht sinnvoll wären.

Vor allem aus umweltpolitischer Sicht werde seit geraumer Zeit gefordert, umweltbelastende Tätigkeiten zu besteuern. So würden Anreize geschaffen, diese Tätigkeiten zu reduzieren und sich für umweltfreundlichere Alternativen zu entscheiden. Auch aus finanzpolitischer Sicht nehme das Interesse zu, allerdings gebe es hier durchaus auch Kritik. In Deutschland sei der Anteil von Umweltsteuern am gesamten Steueraufkommen relativ gering. Dies sei unter anderem einer vergleichsweise komplizierten Finanzverfassung zuzuschreiben. Die Studie hat die Möglichkeiten einer umweltorientierten Mehrwertsteuer innerhalb des bestehenden europäischen Rechtsrahmens untersucht.

Verschiedene Möglichkeiten

Schon heute gilt für bestimmte Produkte und Dienstleistungen ein reduzierter Mehrwertsteuersatz. Dabei gibt es laut Studie drei grundsätzliche Förderungskategorien: Leistungserbringer*innen (vor allem Unternehmen), Güter (vor allem gesellschaftlich wünschenswerte Produkte und Dienstleistungen) und Empfänger*innen von Leistungen. Vor allem unter einem sozialen Gesichtspunkt müsse berücksichtigt werden, dass die Mehrwertsteuer bei Unternehmen erhoben wird und Steuerermäßigungen möglicherweise nicht bei den Verbraucher*innen ankommen. Förderungsziele könnten so lediglich indirekt verfolgt werden. „Daher können soziale Erwägungen nur sehr unspezifisch durch reduzierte Mehrwertsteuersätze realisiert werden. Substanzielle Mitnahmeeffekte durch nicht-förderungsbedürftige Gruppen müssen dabei in Kauf genommen werden“, heißt es in der Studie. Bei der Förderung von Leistungserbringung bestehe die Gefahr, dass bestimmte Branchen eher aufgrund von Lobbyarbeit als aufgrund systematisch begründeter Ausnahmen bevorteilt werden. Sinnvoller scheine hingegen die Begünstigung von Gütern.

Die ermäßigten Mehrwertsteuersätze würden das Umsatzsteuerrecht verkomplizieren. „Um ein gleichbleibendes Steueraufkommen zu sichern, müssten die durch die reduzierten Sätze verringerten staatlichen Einnahmen durch einen höheren Regelsteuersatz oder anderweitige Steueränderungen ausgeglichen werden.“ Zudem würden die ermäßigten Steuersätze Anreize zur Lobbyarbeit bieten. Theoretisch sei es daher sinnvoll, sämtliche Ermäßigungen zu streichen und durch andere, zielgerichtetere Maßnahmen zu ersetzen. Allerdings gebe es Bedenken, dass eine grundsätzliche Reform mehr Kosten als Nutzen bringe. Daher wird in der Studie auch nicht von einer grundsätzlichen Reform, sondern von gezielten ökologischen Verbesserungen ausgegangen.

Große wirtschaftliche Bedeutung

In Deutschland trage die Mehrwertsteuer zu 22,6 Prozent des Gesamtsteueraufkommens bei. Berücksichtige man die Einfuhrumsatzsteuer, seien es sogar 30 Prozent. Seit 2007 beträgt der Regelsatz 19 Prozent, der ermäßigte Satz liegt seit 1983 bei 7 Prozent. Der reduzierte Satz gilt für fast alle Nahrungsmittel, bestimmte Leistungen im Bereich der Land- und Forstwirtschaft und des Gartenbaus, einige Gesundheits- und Rehabilitationsleistungen, gewisse kulturelle Leistungen, die meisten Leistungen gemeinnütziger Organisationen, weitgehend den gesamten öffentlichen Personenverkehr sowie für bestimmte Hotelleistungen.

Insbesondere die Begünstigungen bei Nahrungsmitteln und in der Landwirtschaft hätten negative ökologische Auswirkungen. „Dies hängt wesentlich damit zusammen, dass keine ökologische Differenzierung, bspw. zwischen tierischen und pflanzlichen Produkten oder konventioneller und biologischer Produktion, stattfindet.“ Zudem gebe es im Bereich Renovierung und Reparatur Potenziale für Ressourceneffizienz. Auch für kleinere Reparaturdienstleistungen könnten reduzierte Mehrwertsteuersätze angewendet werden. Dies erfolge bereits in einer Reihe von EU-Mitgliedstaaten. So könne die Lebensdauer von Produkten verlängert werden. Ökologisch problematisch sei der reduzierte Steuersätze auf „Take-away“-Speisen.

Fleisch und tierische Produkte

Derzeit unterliegen Fleisch und tierische Produkte wie Milchprodukte, Eier und Fisch einem reduzierten Mehrwertsteuersatz. Aus Sicht der Studie stellt dies zumindest eine indirekte Subvention des Fleisch- und Milchkonsums dar. Die ursprüngliche Intention bei der Einführung des reduzierten Steuersatzes sei die Verbilligung von Gütern des lebensnotwendigen Bedarfs aus sozialpolitischen Gründen gewesen. Die Kritik am verminderten Steuersatz umfasst neben ökologischen Gründen die steigenden Gesundheitskosten durch den Überkonsum von Fleisch. Zudem würden auch Feinschmeckerprodukte, die nicht zum Grundbedarf gehören, vom reduzierten Steuersatz profitieren.

Nach Schätzungen des Umweltbundesamtes würden die Subventionen für tierische Produkte jährlich etwa 5,2 Milliarden Euro betragen. „Diese indirekte Subvention setzt Fehlanreize zu ungesundem, umwelt- und klimaschädlichem Überkonsum“, so die Studie. Der Lebensmittelanbau habe – je nach Produkt – erhebliche Umweltauswirkungen. Selbst bei den ökologisch besten Produktionsweisen seien die Umweltauswirkungen immer noch höher als bei pflanzlichen Alternativen. Rotes Fleisch und Milch würden erheblich zu den Treibhausgasemissionen des Landwirtschaftssektors beitragen. Als Beispiel für derzeitige Fehlanreize nennt die Studie den regulären Mehrwertsteuersatz auf pflanzliche Milchersatzprodukte, während Milch und Milchprodukte lediglich mit 7 Prozent besteuert werden. „Die aktuelle steuerliche Ausgestaltung liegt hier also konträr zu den Umweltwirkungen der Produkte.“

Untersuchungen hätten gezeigt, dass bei einer Internalisierung der Umweltkosten die Preise für tierische Produkte deutlich steigen müssten. Auch eine Abschaffung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes würde dabei nicht ausreichen. „Die Beendigung der indirekten Subventionierung durch den ermäßigten Mehrwertsteuersatz wäre aber eine schnelle, einfache Möglichkeit, Vorteile für diese Produkte zu reduzieren, die sich umweltpolitisch nicht (mehr) rechtfertigen lassen.“

Die Studie empfiehlt, den Mehrwertsteuersatz für tierische Produkte auf 19 Prozent anzuheben. Die ursprüngliche soziale Bedeutung gelte heute nur noch sehr bedingt. Auch aus gesundheitspolitischen Gründen sei es aufgrund des sehr hohen Fleischkonsums sinnvoll, Anreize für einen geringeren Fleischkonsum zu schaffen. Um die daraus resultierende finanzielle Mehrbelastung für Verbraucher*innen zu reduzieren, könne gleichzeitig die Mehrwertsteuer auf pflanzliche Produkte auf 7 oder 5 Prozent reduziert werden. Außerdem wird empfohlen, für Biofleisch den ermäßigten Steuersatz beizubehalten. „Eine Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes auf Fleisch und tierische Produkte würde ohne eine Differenzierung zwischen Bio-Fleisch und konventionellem Fleisch dazu führen, dass der Preis für ohnehin teurere Bioprodukte überproportional steigen würde, und sich somit der Preisunterschied zwischen konventionellen und biologischen Produkten noch weiter vergrößern würde“, heißt es. Dadurch könne die Nachfrage nach Bio-Produkten sinken und die nach konventionellen Produkten steigen. Problematisch könne hier in der Praxis allerdings der Vollzug werden.

Bei einer vollständigen Weitergabe (von der auszugehen sei), würden die Preise für tierische Produkte um etwa 11 Prozent steigen. Diese Preiserhöhung werde die nationale Nachfrage nach Fleisch und tierischen Produkten verringern. Dies würde mit geringeren Umweltauswirkungen durch die Produktion tierischer Güter einhergehen. Je nach Preiselastizität könne ein Rückgang von bis zu 6,3 Millionen Tonnen CO2eq erreicht werden. Zudem könnten deutliche Steuermehreinnahmen erzielt werden.

Energetische Sanierung

Zwar sei nach europäischem Recht ein reduzierter Mehrwertsteuersatz auf Arbeitsleistungen bei energetischer Sanierung möglich, dies werde aber in Deutschland derzeit nicht angewendet. Zur Erreichung der Klimaschutzziele im Gebäudebestand müsse in Deutschland eine Sanierungsrate von mindestens 1,5 Prozent erreicht werden. Seit 2010 sta­gniere diese aber bei etwa 1 Prozent. Dies deute darauf hin, dass stärkere Anreize notwendig seien. Zwar gebe es eine Reihe von Förderprogrammen, die aber vor allem Eigentümer*innen von selbst genutztem Wohnraum zugutekämen. Es gebe zwar auch Fördermittel für vermieteten Wohnraum, aufgrund der durch die Sanierung steigenden Mieten gebe es aber keinen Anreiz für Mieter. „Die Verringerung von Kosten für die Sanierung ist neben Sanierungspflichten, nicht umlagefähigen Abgaben oder Erhöhung der Energiepreise ein Ansatzpunkt, um entsprechende Anreize zu schaffen – die Reduktion der Mehrwertsteuer hat dabei denselben Wirkmechanismus wie die Förderung“, so die Studie.

Denkbar sei eine Reduzierung für Lieferung, Bau, Renovierung und Umbau von Wohnungen im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus sowie die Renovierung und Reparatur von Privatwohnungen mit Ausnahme von Materialien, die einen bedeutenden Teil des Wertes der Dienstleistung ausmachen. Dabei sollte die Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes nicht nur bei Eigennutzung gelten, um größere Anreize zu schaffen.
„Um Rechtsunsicherheiten zu vermeiden, sollte lediglich die Arbeitsleistung begünstigt werden, nicht jedoch das verwendete Material“, heißt es weiter. Durch eine zunehmende energetische Sanierung sei mit einem geringeren Verbrauch von Heizenergie und damit mit einem geringeren Verbrauch fossiler Energieträger zu rechnen. Dementsprechend würden CO2-Emissionen eingespart. Diese Einsparungen beziffert die Studie mit 23.000 bis 47.000 Tonnen CO2eq über einen Zeitraum von 33 Jahren. Würde die Sanierungsquote im folgenden Jahr ähnlich hoch ausfallen, würden weitere CO2-Einsparungen hinzukommen. Die Mindereinnahmen durch die wegfallenden Steuern beziffert die Studie mit 1,2 Milliarden Euro.

Kleinere Reparaturdienstleistungen

Auch für bestimmte Reparaturdienstleistungen bei Fahrrädern, Schuhen und Lederwaren, Kleidung und Haushaltswäsche erlaubt die europäische Richtlinie einen ermäßigten Steuersatz. In Deutschland wird davon bisher kein Gebrauch gemacht. Dabei steht in der europäischen Abfallhierarchie die Wiederverwendung an zweiter Stelle. Durch eine vermehrte Nutzung von Reparaturdienstleistungen könnten zudem Arbeitsplätze geschaffen werden. Allerdings seien hohe Kosten für die Reparatur und auch fehlende Qualitätsstandards zwei wesentliche Faktoren für die sinkende Nachfrage nach Reparaturdienstleistungen. Mit der Senkung der Mehrwertsteuer für die genannten Produkte könne die Nachfrage gesteigert werden. Die Lenkungswirkung hänge dabei im Wesentlichen davon ab, inwieweit die Betriebe die Kostensenkung an die Verbraucher*innen weitergeben würden. Durch eine zunehmende Reparaturtätigkeit würde es zu weniger Neukäufen kommen mit entsprechend geringen Umweltauswirkungen. Allerdings könne es durch frei werdende Haushaltseinkommen zu Rebound-Effekten kommen, warnt die Studie. Die Studie geht davon aus, dass es zu Mindereinnahmen in Höhe von 78 Millionen Euro kommt.

Außer-Haus-Mahlzeiten

Für Mahlzeiten, die zum Außer-Haus-Verzehr vorgesehen sind, gilt in Deutschland der verminderte Mehrwertsteuersatz, da sie als „Lieferung“ oder „Erwerb von Lebensmitteln“ angesehen werden. Für Mahlzeiten, die in Restaurants verzehrt werden, gelte hingegen der reguläre Steuersatz, da die Zubereitung als zusätzliche Dienstleistung angesehen werde. „Diese Differenzierung ist aus ökologischer Sicht nicht sinnvoll, da sie indirekt Einwegverpackungen fördert, indem Take-away-Speisen und -Getränke steuerlich bevorzugt werden. Diese gegenwärtige Regelung hat also marktschaffenden Charakter und unterstützt den Außer-Haus-Konsum“, so die Studie. Untersuchungen zeigten, dass zwischen 1994 und 2017 das Müllaufkommen durch Einwegverpackungen für Mahlzeiten und Getränke um 38 Prozent zugenommen hat auch durch die steuerliche Bevorteilung des Außer-Haus-Verkaufs. Neben den ökologischen Fehlanreizen werde die Subventionierung auch regelmäßig missbraucht. So würden In-Haus-Verkäufe als Außer-Haus-Verkäufe deklariert. Zudem werde in der Regel der geringere Mehrwertsteuersatz nicht an die Kund*innen weitergegeben. Es würden jährlich Steuereinnahmen im zweistelligen Millionenbereich verloren gehen.

„Eine Angleichung der Steuersätze ist nicht trivial, da die Abgrenzung von Take-away-Speisen und dem Kauf von Lebensmitteln, z. B. in Bäckereien, nicht eindeutig ist, der Kauf der meisten Lebensmittel jedoch mit 7 Prozent besteuert wird“, heißt es weiter. Die einfachste und ökologisch sinnvollste Reform sei demnach eine Angleichung an den allgemeinen Mehrwertsteuersatz. Eine Anpassung an den ermäßigten Steuersatz sei nicht sinnvoll, da der To-go-Konsum weiterhin steuerlich gefördert würde. Mit einer einheitlichen Regelung von 19 Prozent könnten Schätzungen zufolge zusätzliche Steuereinnahmen von mehr als 500 Millionen Euro erzielt werden.

Fazit

Von der gegenwärtigen Ausgestaltung der Mehrwertsteuer würden erhebliche Impulse für den Konsum ausgehen, was auch politisch gewollt sei. Damit seien aber auch ökologische Folgen verbunden, zum Teil sehr negative. „Es ist zudem höchst fragwürdig, ob die Begründungen, mit denen die umsatzsteuerrechtlichen Privilegierungen für Güter oder Leistungserbringer vor Jahrzehnten geschaffen wurden, heute noch Bestand haben“, heißt es weiter. Bisher hätten ökologische Aspekte bei der Ausgestaltung der Mehrwertsteuer keine Rolle gespielt. Auch der europäische Rechtsrahmen biete dabei nur begrenzt Möglichkeiten. Diese würden aber bisher in Deutschland auch nicht genutzt.

Kommentar schreiben

Please enter your comment!
Please enter your name here

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.