Verpackungsverordnung: „Ich sehe noch keine Alternative“

Baden-Württembergs Umweltministerin Tanja Gönner warnt vor Schnellschüssen. Wirkliche Alternativen zur Verpackungsverordnung (VerpackV) sieht Gönner im Interview mit dem RECYCLING magazin noch nicht.

Frau Gönner, kaum ein Politiker scheint mit der Verpackungsverordnung richtig zufrieden. Sind Sie es?

GÖNNER: Die Verpackungsverordnung ist einmal mehr ein Beispiel dafür, dass „gut gemeint“ nicht immer „gut gemacht“ ist. Und das müssen wir auch mit der 5. Novelle so zur Kenntnis nehmen.

Anstoß für die 5. Novelle waren die rückläufigen Lizenzmengen. Kann die neue VerpackV diesen Trend jetzt stoppen?

GÖNNER: Dies war in der Tat einer der zentralen Punkte der Novelle. Doch durch die Art, wie auch einzelne Vorschläge der Länder insbesondere zur Vermeidung der Trittbrettfahrer umgesetzt wurden, ist es nicht ganz gelungen, das tatsächlich zu erreichen. Wir haben jetzt das Problem, dass es für die Selbstentsorger eine andere Lösung gibt, die nicht entscheidend weiterhilft. Ich befürchte, dass die bestehenden Probleme mit der 5. Novelle nicht gelöst sind.

Baden-Württembergs Umweltministerin Tanja Gönner
Foto: Umweltministerium Baden-Württemberg

Sind die Behörden gut vorbereitet? Wie steht es um die Kontrolle?

GÖNNER: Die Vollzugsbehörden sind gut vorbereitet. Die Verordnung ist jedoch sehr komplex, so dass es sich in der Praxis als schwierig erweist, wie sie in allen Einzelheiten vollzogen werden kann. Die Verordnung enthält viele unbestimmte Rechtsbegriffe. Die Länderbehörden mussten deshalb zu einzelnen Begriffen Vollzugshinweise erarbeiten, um sicherstellen zu können, dass beispielsweise Anzeigeverfahren bundesweit gleich behandelt werden. Eine vollumfängliche hundertprozentige Kontrolle der Verpackungsverordnung ist nicht gewährleistet, war aber auch nie beabsichtigt.

Gefährden die Branchenlösungen duale Systeme weniger als Selbstentsorger?

GÖNNER: Wir wollten ursprünglich eine andere Lösung für die Selbstentsorger als die Branchenlösung. Man hätte eine klarere Definition vornehmen müssen für die privaten Verbrauchsanfallstellen. Darauf hatten die Länder gedrängt. Es ist ihnen aber nicht gelungen. Und die Tatsache, dass sich die dualen Systeme dort engagieren, zeigt, dass das, was sie ursprünglich mit der Novelle erreichen wollten, nicht erreicht wurde. Dar­über hinaus ist dieser im Dreieck zwischen Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat entwickelte Kompromiss aus unserer Sicht sicherlich nicht hilfreich für einen einfachen Vollzug.

Ein weiterer zentraler Punkt der Novelle war fairer Wettbewerb. Bei den Ausschreibungen kann davon noch keine Rede sein.

GÖNNER: Das ist richtig. Man hat sich auch unter kartellrechtlichen Gesichtpunkten auf den Kompromiss der Gemeinsamen Stelle verständigt. Wir sollten ihr eine Chance geben, und schauen, ob es funktioniert oder nicht.

Mittelständische Entsorger befürchten, von großen Systembetreibern aus dem Markt gedrängt zu werden. Wie sehen Sie das?

GÖNNER: Auseinandersetzungen in der Wirtschaft müssen auch weiterhin in einem Wettbewerb ausgetragen werden. Dafür muss die Politik die Grundlage schaffen. Aber nicht alle damit zusammenhängenden Probleme müssen der Politik zugeschoben werden. In der Praxis müssen die Wettbewerbsbehörden für einen fairen Wettbewerb zwischen kleinen und großen Unternehmen sorgen.

Lässt sich die VerpackV von Marktschwankungen abkoppeln?

GÖNNER: Nein. In dem Moment, wo ein Markt vorhanden ist, will jeder dran teilhaben und profitieren, und dann, wenn der Markt zusammenbricht, will keiner für die Abfälle garantieren, so dass zum Schluss der Verbraucher dafür zahlen müsste. Lassen Sie mich mit aller Deutlichkeit sagen, dass ich das nicht mit einer sozialen Marktwirtschaft für vereinbar halte. Entweder ich entscheide mich für ein marktwirtschaftliches System mit allen Chancen, aber auch mit allen Risiken, oder ich tue es nicht. Es geht nicht an, dass in Zeiten, in denen hohe Preise und damit auch hohe Gewinne zu erwirtschaften sind, der Verbraucher nichts davon hat, und in Zeiten, wo nichts zu erlösen ist, der Verbraucher zur Kasse gebeten wird.

Ist die Lizenzierung noch zeitgemäß?

GÖNNER: Die Lizenzierung im Rahmen der Produktverantwortung ist ein Weg, um einen der Grundsätze des KrW-/AbfG in der Praxis auch tatsächlich umzusetzen, nämlich Abfälle zu vermeiden. Jeder ist durch die Lizenzierung dazu angehalten, so wenig wie möglich Abfall anfallen zu lassen. Das reduziert das Abfallaufkommen.

Gibt es Alternativen zur VerpackV?

GÖNNER: Ich halte es im Moment zu früh, um zu sagen, wir haben die Alternative zur Verpackungsverordnung. Wir haben mit der Verabschiedung der 5. Novelle der Verpackungsverordnung den Bund damit beauftragt, ein Planspiel durchzuführen, um die Wirkungen der Novelle aufzuzeigen. Gleichzeitig sollten damit aber auch Erfahrungen gesammelt werden, wie eine etwaige 6. Novelle auszusehen hat, mit der eine effiziente Entsorgung der Verpackungsabfälle und eine rechtstechnisch saubere Verpackungsverordnung erreicht werden kann, ohne die Herstellerverantwortung, die hohen ökologischen Standards und die flächendeckende Sammlung zu gefährden.

Könnte ein Zertifizierungssystem wie in Großbritannien dies auch garantieren?
Wir sollten mit Schnellschüssen vorsichtig sein. Das System in Großbritannien wirft mehr Fragen auf, wie es Antworten liefert.

Einer der neuralgischen Punkte ist die Schnittstelle zwischen Daseinsvorsorge und Markt. Lässt sie sich entschärfen?

GÖNNER: So lange es uns nicht gelingt, den unverzichtbaren Kernbereich der Daseinsvorsorge, also die private Anfallstelle anders zu definieren und damit auch die Diskussion um die Abgrenzung der Verwertung und Beseitigung zu entschärfen, so lange werden wir darüber diskutieren, wer entsorgt: öffentlich-rechtliche oder private Entsorger? Deshalb werden wir nicht umhin kommen, gerade an dieser Stelle eine sehr umfassende Diskussion über die Daseinsvorsorge zu führen, ohne den Verbraucher dabei aus den Augen zu verlieren.

Wäre es denkbar, werthaltige Verpackungsabfälle aus dem Abfallregime zu entlassen?

GÖNNER: Darauf kann derzeit noch keine generelle Antwort gegeben werden. Vor allem deswegen, weil dies zunächst auch wieder bedeuten würde, dass der Verbraucher alles bezahlen müsste, was Kosten verursacht, er im Gegenzug aber nichts von den Wertstofferlösen erhält. Die neue Abfallrahmenrichtlinie hat zur Frage der Entlassung von Abfällen aus dem Abfallregime ja bereits Vorgaben gemacht. Die gilt es nun in deutsches Recht umzusetzen. Entlang dieser Regelungen wird zu prüfen sein, wann und unter welchen Voraussetzungen Abfälle aus dem Abfallregime herausgenommen werden.

Was, wenn das Bundesverwaltungsgericht auch den Restmüll als Abfall zur Verwertung aus § 13 KrW-/AbfG entlässt?

GÖNNER: Der Frage, ob das Bundesverwaltungsgericht so entscheidet wie das Oberverwaltungsgericht Schleswig, kann nicht vorweggegriffen werden. Es gibt ja schließlich auch gegenteilige Auffassungen, auch von anderen Oberverwaltungsgerichten. Insofern möchte ich die Beantwortung einfach der Weisheit des Bundesverwaltungsgerichts überlassen. Der Gesetzgeber wird danach zu prüfen haben, inwieweit die geltenden gesetzlichen Regelungen fortentwickelt werden müssen, um den Kernbereich der Daseinsvorsorge auch künftig zu gewährleisten. Wenn dagegen der Markt der Haushaltsabfälle vollständig liberalisiert würde, dann müsste die Wirtschaft auch die komplette Verantwortung dafür übernehmen und ein flächendeckendes Sammelsystem einschließlich der ländlichen Gebiete zu vertretbaren Preisen für den Verbraucher sicherstellen.

Frau Gönner, danke für das Gespräch.
Das Interview führte Walter Henkes.

Kommentar schreiben

Please enter your comment!
Please enter your name here

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.