Tschechien ist ein Musterknabe

Den Übergang von einer Agrar- zu einer Industrienation haben die Tschechen genutzt, ein im ehemaligen Ostblock beispielhaftes Abfallmanagement einzurichten. Die Regierung in Prag entwirft derzeit ein neues Abfallgesetz, um endgültig zum Westen aufzuschließen. Für Investoren stehen Millionen an Fördermitteln bereit.

Von Cornelius Heyer

Die Tschechen haben es eigentlich schon immer gewusst. Schon in Zeiten des Kommunismus, als eine umfassende Abfallverwertung selbst den meisten Westeuropäern noch wie ein Märchen erschien, gab es in allen Städten des Landes Rücknahmestellen für Glas und Papier. Ob junger Bursche oder altes Mütterchen, alle liefen mit ihrem gesammelten Material zu diesen Shops und freuten sich über staatlich garantierte, natürlich völlig überzogene Preise.

Mit dem Fall des alten Regimes ver­schwanden diese Einrichtungen wie die meisten Relikte der Planwirtschaft – doch die Sinnhaftigkeit geschlossener Stoffkreisläufe hatte sich offenbar schon tief im kollektiven Bewusstsein der gut 10 Millionen Tschechen verankert. Bereits 1991 verabschiedete das Parlament in Prag das erste Abfallgesetz, mit dem ausgesuchte Verursacher verpflichtet wurden, Entsorgungs­systeme zu organisieren.

Seitdem hat sich beim kleinen Nachbarn viel getan. Den Übergang von einer Agrar- zu einer Industrienation nutzten die Tschechen, ein im ehemaligen Ostblock beispielhaftes Abfallmanagement einzurichten. Bemerkenswert ist vor allem die konsequente Abfallvermeidung: Noch Anfang des Jahrzehnts produzierte das Land fast 40 Millionen Tonnen. Nach den Daten der europäischen Statistikbehörde Eurostat war der Wert 2006 auf nur noch 24,7 Millionen gesunken.

Bei der Erfassung von Wertstoffen im Hausmüll setzt das Land heute auf ein duales System, dem sich Inverkehrbringer von Verpackungen anschließen müssen. Zentrale Instanz ist die Firma Eko-kom, die von den Herstellern Gebühren einzieht und diese den Kommunen zur Verfügung stellt, welche wiederum mit privaten Anbietern die Rücknahme organisieren. Dabei werden allerdings nicht Tonnen in jedem Haushalt eingesetzt, sondern Wertstoffinseln, von den Tschechen liebevoll „Nester“ genannt. Erfasst werden momentan Glas, Papier, Plastik und Getränkekartons, die sodann an Recycler verkauft werden. Eko-kom ist momentan Monopolist, obwohl das gesetzlich eigentlich nicht vorgeschrieben ist. Das tschechische Umweltministerium macht allerdings strenge Auflagen für eine Zulassung, die bisher noch kein anderer Anbieter erfüllen konnte – ein bisschen politischer Wille steckt vermutlich auch dahinter.

Erfolgreichstes Plastikrecycling in ganz Europa

Jedenfalls konnte das Land bereits große Erfolge feiern. Gerade erst verkündete Eurostat, dass die Tschechen 2006 mit einer Quote von 45 Prozent Europameister im Plastikrecycling wurden. Nach Einschätzung von Umweltschutzorganisationen liegt das vor allem auch daran, dass es außer in ein paar Zementwerken so gut wie keine thermische Verwertung gibt – strukturbedingt sind die Tschechen also Musterknaben in Sachen europäische Abfallhierarchie.

Die Politik will sich auf dem Erreichten offenbar nicht ausruhen. „Wir laden immer noch viel zu viel Siedlungsabfall auf Deponien ab“, befindet Daniel Vondrouš. Der ehemalige Umweltschutz-Aktivist ist Chef des Beraterstabs von Umweltminister Martin Bursík und so etwas wie das Mastermind der tschechischen Recyclingpolitik. Der Siedlungsabfall des Landes wird laut Vondrouš zu 21 Prozent stofflich und zu 10 Prozent energetisch verwertet – viel zu wenig, wie er findet. „Wir wollen beide Werte bis 2013 verdoppeln.“

Zu diesem Zwecke drückt das Ministerium nun aufs Gas. Ende Februar soll der Referentenentwurf eines neuen Abfallgesetzes fertig sein, das im Sommer vom Parlament verabschiedet werden und noch dieses Jahr in Kraft treten soll. Kernstück ist ein neues Verpackungsmüll-Gesetz, mit dem die Getrenntsammlung von Siedlungsabfall gesteigert werden soll. „Außerdem wollen wir endlich Statistiken zu den einzelnen Fraktionen erheben“, kündigt Vondrouš an. Bisher gibt es nur eine offizielle Zahl, nämlich zum gesamten Siedlungsabfall. Die Weltmeister-Zahlen zum Plastikrecycling dagegen hat Eurostat direkt bei den Entsorgern erhoben. Sobald die Regierung dann aber weiß, wie viel Kunststoff und Glas tatsächlich recycelt werden, will sie laut Vondrouš für jede Fraktion Quotenziele einführen.

Deponien sind bald voll

Der Deponierungsanteil muss auch deshalb schleunigst zurückgefahren werden, weil die meisten Deponien langsam aber sicher ihre Maximalkapazität erreicht haben. Vor allem die Ablagerung von Bioabfall macht der Politik Kopfzerbrechen. Zwar verfügen sämtliche Müllkippen über eine Entgasungstechnik, und zum überwiegenden Teil kann das Deponiegas auch verwendet werden – doch: Getrennt erfasst und kompostiert wäre der Biomüll wertvoller. Hier sind die Würfel noch nicht gefallen, aber Bursíks Haus denkt intensiv über mögliche Systeme nach.

Neben diesen auch breit in der Öffentlichkeit bekannt gewordenen Zielen hat sich die Regierung vorgenommen, die Rücknahmesysteme für Altbatterien und Altgeräte zu verbessern. Um die entsprechenden EU-Richtlinien besser umsetzen zu können, sollen umfangreiche Rücknahmesysteme im Einzelhandel eingerichtet werden. Und für Altautos soll die Verantwortung für die Entsorgung den Automobilherstellern übertragen werden.
Ihre hochgesteckten Ziele will sich die tschechische Regierung etwas kosten lassen. Für den Zeitraum von 2008 bis 2013 stehen insgesamt 520 Millionen Euro Fördermittel für Recyclingprojekte zur Verfügung. Das lässt natürlich vor allem ausländische Unternehmen aufhorchen, die in den vergangenen Jahren die treibende Kraft hinter der positiven Entwicklung des Systems waren. Vor allem Firmen aus den Nachbarländern Deutschland und Österreich haben schon vor Jahren ihre Pflöcke in den tschechischen Boden gehauen. Allein die Bottroper Metallrecycler von TSR betreiben fast 30 Niederlassungen. Die österreichische AVE gehört seit der Übernahme der RWE-Aktivitäten 2004 zu den Top 5 der privaten Recyclingfirmen in Tschechien. Der Umsatz wurde in dieser Zeit verdoppelt – und nach wie vor sieht AVE in dem Markt hohes Wachstumspotenzial.

Für den deutschen Mittelstand bieten sich also gute Geschäftschancen. Dabei muss es nicht immer eine Niederlassung sein. Duesmann zum Beispiel arbeitet mit dem Tschechen Ivan Pfeifer zusammen, einem alten Geschäftspartner von Ralf Duesmann. Vom südböhmischen Milevsko aus kauft er im ganzen Land alte Katalysatoren auf und schafft sie per Lkw zum Recycling nach Aschaffenburg. „Die tschechische Sprache ist schon für mich schwer“, erzählt Muttersprachler Pfeifer. „Als deutsches Unternehmen braucht man einfach einen Partner hier im Land.“

Das findet auch Thomas Kantor, Unternehmensberater aus München, der selbst jahrelang in Tschechien gearbeitet hat. „Wer sich hier niederlässt, ist auf tschechisches Führungspersonal angewiesen“, befindet er. Er hält die Tandemlösung für optimal: Die wichtigen Posten im Management sollten völlig gleichberechtigt mit einem Deutschen und einem Tschechen besetzt werden. Das helfe vor allem bei dem oft frustrierenden Formularkrieg; im Übrigen könnten Behörden auf stur schalten, wenn Deutsche als überheblich wahrgenommen werden.

Ministerium will dringend in MBA investieren

Um etwas von den öffentlichen Fördergeldern abzubekommen, sollten deutsche Firmen vorwiegend in die Bereiche vorstoßen, in denen auch die Regierung Handlungsbedarf sieht. „Am dringendsten ist meiner Meinung nach der Bau von mechanisch-biologischen Aufbereitungsanlagen“, erklärt Ministerberater Vondrouš. Bisher gebe es in ganz Tschechien noch keine funktionierende MBA – das wolle man dringend ändern. Auch im Plastikrecycling will das Ministerium weitere Akzente setzen. „Wir brauchen neue Konzepte, etwa im Bereich Bottle-to-bottle“, meint Vondrouš. Auch beim Altpapier habe man verschiedene Ideen, etwa die Nutzung in der Gebäudeisolation. In jedem Fall fordert er ausländische Unternehmen auf, sich weiterhin im Land zu engagieren. „Unsere europäischen Nachbarn waren in Tschechien immer willkommen – und sie werden auf unserem Markt genauso behandelt wie unsere heimischen Firmen.“

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