Textilindustrie braucht fundamentalen Wandel

Der C2C Summit Textiles & Supply Chain Ende Januar mit einem Fokus auf den Globalen Süden hat gezeigt, dass die globale Textilindustrie vor einem fundamentalen Wandel hin zu Kreislauffähigkeit und echter Nachhaltigkeit steht.
Nora Sophie Griefahn und Tim Janßen, geschäftsführende Vorstände Cradle to Cradle NGO

Zu der digitalen Veranstaltung hatten sich rund 300 Personen aus der Textilindustrie, der Politik, Verbänden und NGOs sowie der Zivilgesellschaft angemeldet.

Fast Fashion und Überproduktion führen zu wachsenden Müllbergen, richten Klimaschäden durch Treibhausgasemissionen an und verschwenden Ressourcen, sagte Dr. Maria Flachsbarth, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesentwicklungsministerium (BMZ) in ihrem Eingangsstatement. Zwischen 2000 und 2015 habe die globale Textilindustrie ihr Produktionsvolumen verdoppelt. Gleichzeitig stehe der Sektor für rund 10 Prozent aller CO2-Emissionen – das entspricht der Menge, die Deutschland, Russland und Japan zusammen emittieren. Auch angesichts des hohen Wasserverbrauchs des Sektors sei es „keine Überraschung, dass die Textilindustrie der weltweit zweitgrößte Verschmutzer ist“, so Flachsbarth. Mit den Umweltschäden und der Ressourcenverschwendung gingen negative Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen einher, die sich durch COVID-19 vergrößert hätten. Es brauche daher einen Textilsektor, der ein Minimum an Ressourcen verbrauche, die Entstehung von Müll vermeide und Fasern wiederverwerte, so die CDU-Politikerin.

“Cradle to Cradle kann uns dabei helfen, eine Kreislaufwirtschaft im Textilsektor zu erreichen. Der Ansatz, der den Produktionsprozess im Ganzen betrachtet und intelligentes Produktdesign nutzt, zielt auf geschlossene Kreisläufe ab. Das Konzept gewinnt in der Zusammenarbeit für nachhaltige Textilien immer mehr an Bedeutung, und auch bei der Entwicklung des Grünen Knopf, unserem staatlichen Siegel für nachhaltig produzierte Textilien“, so Flachsbarth abschließend.

Doch nicht nur der Umwelt- und Ressourcenaspekt spielt bei Cradle to Cradle als ganzheitlichem Ansatz eine Rolle, sondern auch, dass Materialien, die zu Textilien verarbeitet werden, frei von jeglichen Schadstoffen sind. Sie dürfen weder beim Tragen noch bei der Herstellung gesundheitliche Schäden hervorrufen. Das ist heute nicht der Fall. Bei Baumwolltextilien sorgen giftige Farbstoffe und Pigmente oder Prozesschemikalien dafür, dass sie gesundheitliche Schäden hervorrufen können. Bei synthetischen Fasern kommen Additive und Katalysatoren hinzu. Insgesamt ist der Großteil der Textilien auf dem Markt nicht für Hautkontakt geeignet.

„Innerhalb einer globalen Wertschöpfungskette ist es wichtig, welche Qualität alle eingesetzten Substanzen haben – ob Fasern, Garne oder Farbstoffe. Wir brauchen Textilien, die für Hautkontakt gemacht sind und entweder im technischen oder im biologischen Kreislauf zirkulieren können. So können wir Ressourcenverschwendung und die Entstehung von Müll beenden. Insbesondere auch in jenen Produktionsländern des Globalen Süden, in denen die heutigen Umweltbelastungen durch die Textilindustrie direkte soziale Folgen haben.“

Dieses Bewusstsein sei in der Politik angekommen, sagte Dr. Ulf Jaeckel, Leiter des Referats Nachhaltiger Konsum und produktbezogener Umweltschutz im Bundesumweltministerium (BMU). Um die Herausforderungen der Industrie anzupacken, müsse die gesamte Wertschöpfungskette adressiert werden. „Die EU-Strategie für nachhaltige Textilien, die zum Ende des Jahres stehen soll, wird genau dies abdecken“, so Jaeckel. Die Strategie befindet sich derzeit auf EU-Ebene in der Konsultationsphase. Eine Studie zur Kreislaufwirtschaft im Textilsektor, die Cradle to Cradle NGO gemeinsam mit Adelphi im Auftrag der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) für das BMZ erstellt hat, ist darin enthalten. Kreislauffähiges Design sei heute jedoch noch nicht in gesetzlichen Standards enthalten, so Jaeckel. Das gelte auch für staatliche Siegel wie der Blaue Engel oder der Grüne Knopf. Die Kriterien beider Siegel würden derzeit überarbeitet. Darin müsse einfließen, welche Standards benötigt würden, möglich seien und bevorzugt würden. „Wir sprechen dabei auch mit der Textilindustrie, denn wir wollen, dass diese die Standards auch akzeptiert“, so Jaeckel. Das von der US-Organisation Products Innovation Institute vergebene Cradle to Cradle-Zertifikat wird vom staatlichen Siegel Grüner Knopf als Umweltzertifikat anerkannt.

Dass das bei Kreislauffähigkeit und Cradle to Cradle der Fall wäre, glaubt Simone Cipriani, Gründer der Ethical Fashion Initiative und Chairman der UN Alliance for Sustainable Fashion. „Bisher hat die Industrie ein paar Elemente von Nachhaltigkeit adaptiert, anstatt ihr Geschäftsmodell radikal zu ändern. Das ist aber nicht länger tragbar, denn eine gesamte Wertschöpfungskette lässt sich ohne einen systemischen Wandel nicht nachhaltig und kreislauffähig gestalten“, sagte er. Heute mache sich die Industrie erstmalig Gedanken über diese Zusammenhänge, da COVID-19 alle Probleme der Branche verschärft habe. Nun brauche es allerdings noch politische Rahmenbedingungen, insbesondere mit Blick auf die Internalisierung externer Kosten, die durch Umwelt- und Gesundheitsschäden bisher der Gesellschaft angelastet werden. Damit, so Cipriani, könnten Investitionen großer Modekonzerne in echte Nachhaltigkeit sowie Konzerne, die sich nicht bemühten, ganz anders bewertet werden.

Handlungsbedarf der Politik

Auch für Patrik Lundström, CEO & Gründer des Textilfaserrecyclers Renewcell, besteht hier dringender Handlungsbedarf durch die Politik. Renewecell, gefördert unter anderem durch EU-Programme, sei heute der einzige Anbieter ausschließlich recycelter Zellulosefasern und verzeichne großes Interesse aus der Industrie. Renewcell arbeitet unter anderem mit H&M und Levis zusammen. In diesem Jahrzehnt werde sich das Volumen von Textilfasern auf dem Markt von 110 auf 160 Millionen Tonnen erhöhen, so Lundström. „Modekonzerne wollen unser Material für ihre Kollektionen nutzen. Aber wir sind nicht in der Lage, Recyclingkapazitäten in einem Maß aufzubauen, die das Wachstum von Fasern auf dem Markt erfordert. Das ist eine riesige Wachstumschance für Recyclingunternehmen, aber wir müssen dafür skalieren und dafür sind Investitionen in Fabriken nötig“, so Lundström. Es sei positiv, dass sich die EU mit besseren Sammel- und Recyclingsystemen für Textilien beschäftige. Sie müsse aber auch die dafür erforderliche Infrastruktur fördern.

Rob Kragt, Leiter CSR Communications & Training Manager EMEA beim französischen Fußbodenbelagshersteller Tarkett dagegen appellierte an die Industrie, mutig mit kreislauffähigen Innovationen voran zu gehen. Tarkett bietet unter der Marke Desso unter anderem vollständig recycelbare Teppichfliesen an, nimmt diese nach der Nutzung durch den Kunden zurück und verarbeitet sie zu neuen Fliesen. „Wir haben dies ohne die eigentlich dafür erforderlichen politischen Rahmenbedingungen entwickelt. Auch auf das Risiko hin, damit zunächst Geld zu verlieren. Wir brauchen Gesetze und müssen Verschmutzung und Gesundheitsschäden besteuern. Aber die Initiative zum Wandel kann innerhalb der Industrie entstehen“, so Kragt.

Berichte aus dem Globalen Süden

Im zweiten Panel lag der Fokus auf jenen Regionen, in denen für den weltweiten Textilkonsum Rohstoffe angebaut und verarbeitet werden. Aneel Kumar Ambavaram, Gründer & CEO der Kleinbauerninitiative Grameena Vikas Kendram in der indischen Provinz Andhra Pradesh und dem Programm RESET (Regenerate the Environment, Society & Economy through Textiles), Tina Stridde, Geschäftsführerin der Aid by Trade Foundation (Dachorganisation der Cotton made in Africa Initiative), Mansoor Bilal, VP Marketing, Research & Innovation des pakistanischen Jeans-Herstellers Soorty Enterprises sowie Ebru Debbag, Director Global Sales & Marketing von Soorty Enterprises, tauschten sich dazu mit Katja Hansen, C2C-Expertin und Beirätin C2C NGO, aus.

Insbesondere in den Produktionsländern führe die heutige Produktions- und Konsumweise von Baumwolltextilien zu Armut und Umweltverschmutzung, sagte Ambavaram. Seine Initiative will dies durch ein Netzwerk von Kleinbauern ändern, die auf regenerative Landwirtschaft setzen und ohne genetisch veränderte Samen sowie den Einsatz schädlicher Pestizide auskommen. In den vergangenen Jahren sei das jährliche durchschnittliche Haushaltseinkommen der Baumwollbauern in der Initiative um 30 Prozent gestiegen. Vor allem, da sich die Anbaukosten halbiert hätten, so Ambavaram. „Für die Bauern war es eine große Umstellung und ein großes Risiko, so zu arbeiten. Es ist einfacher, Pestizide zu versprühen. Aber unser Erfolg zeigt uns, dass wir einen Beitrag dazu leisten können, direkt am Anfang der Wertschöpfungskette in Kreisläufen zu denken“, so Aneel Kumar Ambavaram.

Diesen Beitrag will auch die Aid by Trade Foundation mit ihrer Initiative Cotton made in Africa leisten. Geschäftsführerin Tina Stridde sieht sich als Bindeglied zwischen afrikanischen Baumwollkleinbauern und den großen Textilhändlern. Ihr zufolge ist die Initiative „ein Massenansatz, nachhaltige Rohmaterialien in die textile Wertschöpfungskette einzuspeisen“. Dass dies bei den Kleinbauern der Initiative in unterschiedlichen afrikanischen Ländern gelinge, liege auch daran, dass die Nachfrage nach nachhaltigen Textilien steige. „Das Thema Nachhaltigkeit geht nicht mehr weg. Konsument*innen denken mehr darüber nach, welche Auswirkungen ihre Aktivitäten und ihr Konsum haben. Sie haben damit eine wichtige Rolle und machen Druck auf Händler und Marken“, so Stridde.

Eine solche Marke ist der pakistanische Jeans-Hersteller Soorty, der als weltweit erster Textilhersteller sein gesamtes Sortiment, von Baumwollnähgarn bis zu fertigen Geweben und Kleidungsstücken, nach dem Cradle to Cradle-Standard in Gold zertifizieren konnte. Cradle to Cradle sei ein ganzheitlicher Ansatz, da er den gesamten Lebenszyklus eines Produkts inklusive des Designs hinterfrage, so Ebru Debbag. Das sei auch das Ziel der Nachhaltigkeitsstrategie von Soorty gewesen. Die Umsetzung von Cradle to Cradle bei Soorty dauerte gut 2 Jahre, sagte Mansoor Bilal. Das Ziel der Soorty-Kunden, Kollektionen schnell auf den Markt bringen zu wollen, habe diese Entwicklung jedoch immer wieder erschwert. „Es gab Kunden, die uns vorschlugen, bei der Umsetzung doch etwas weniger strikt zu sein und weniger strenge Standards zu setzen. Aber das ist für uns nicht der Sinn von Nachhaltigkeit“, so Bilal. Im Globalen Süden seien die fatalen Auswirkungen der heutigen Textilproduktion besonders groß, so Debbag. „Die Gesetzgebung, auch in Europa, muss diese Konsequenzen berücksichtigen“, so Debbag.

Cradle to Cradle im großen Maßstab

Friederike Priebe, Team Lead Cradle to Cradle Textiles bei EPEA – part of Drees & Sommer arbeitet daran, dass sich Textilproduktion nach Cradle to Cradle weltweit durchsetzt. EPEA berät Unternehmen auf dem Weg zur Produktzertifizierung nach Cradle to Cradle und unterstützt bei der dafür erforderlichen Umstellung sämtlicher Geschäftsprozesse. Seit den 70er-Jahren sei in der Textilindustrie viel Wissen um Materialgesundheit verloren gegangen, da die Märkte immer schneller wurden und Profit zunehmend über Qualität gestellt wurde. „Eines unserer Ziele ist es, nicht nur ein C2C-Produkt zu erstellen, sondern den Prozess dahinter in einem Unternehmen zu skalieren“, sagte Priebe im dritten Panel, in dem es um die Skalierbarkeit von Cradle to Cradle ging.

Dass diese Skalierbarkeit bereits heute möglich, zeigen Projekte an denen Alexander Meyer zum Felde, Partner & Associate Director, Sustainability & Circular Economy bei Boston Consulting (BCG) Group arbeitet. BCG begleitete unter anderem C&A dabei, Cradle to Cradle-Textilien auf den Markt zu bringen. „Seit drei oder vier Jahren sehen wir erstmals, dass kommerzieller Erfolg direkt mit verantwortungsvollem und nachhaltigem Verhalten zusammenhängt“, sagte er. Nutze eine Marke etwa biologisch abbaubares Bleichmittel sei dies zwar doppelt so teuer als konventionelle Produkte. Dafür fielen in den Hauptproduktionsländern der Textilindustrie dadurch deutlich geringere Kosten für die Nachbehandlung des eingesetzten Wassers an. Auch das habe dazu beigetragen, dass die C2C-Textilien von C&A im Handel gleich viel kosten wie die konventionellen Kleidungsstücke.

Andreas Bothe machte als Leiter CSR & Sustainability der Bay City Textilhandels GmbH die Erfahrung, dass es durchaus einiges an Überredungskunst kosten kann, die eigenen Zulieferer auf diesem Weg mitzunehmen, um nachhaltige Textilien in Masse zu produzieren. Zumindest sei dies der Fall gewesen, als Bay City 2016 mit den ersten Nachhaltigkeitsinitiativen in Richtung Cradle to Cradle startete. „Wir konnten hartnäckig bleiben, weil unsere Inhaber voll hinter unseren Forderungen nach mehr Nachhaltigkeit bei den Zulieferern standen“, so Bothe Das Unternehmen produziert auch für Dritte und war bereits an einem C2C-Projekt für einen großen Textilhändler beteiligt, in dem C2C-Textildruckfarben zum Einsatz kamen. Nun kündigte das Unternehmen der Schmidt Gruppe an, Ende des Jahres auch eine C2C-Kollektion unter eigener Marke auf den Markt bringen zu wollen. Es sei dabei wichtig, den Dialog zwischen Herstellern von Geweben und Garnen zu führen, ihn transparent zu halten und so auf dem gemeinsamen Weg zu bleiben.

Diese Transparenz durch Technologie zu unterstützen ist das Ziel von Mesbah Sabur, Co-Gründer und Geschäftsführer des Technologieunternehmens Circularise, das mit dem dezentralen Blockchain-System Unternehmen auf dem Weg zu einer Kreislaufwirtschaft unterstützen will. Die Blockchain sei zwar nicht der einzige Weg, Transparenz in eine Lieferkette zu bringen, so Sabur. Im besten Fall aber sei eine solche Blockchain eine ideale und sichere „offene Plattform, um die Herkunft und die Qualität von Rohstoffen und Materialien nachzuverfolgen und auch zu verifizieren“, sagte er.

In ihrer Abschluss-Keynote ging die Menschenrechts- und Umweltaktivistin, Autorin und Wissenschaftlerin Dr. Vandana Shiva erneut darauf ein, dass durch die Internalisierung externer Kosten ohne Ressourcenverschwendung günstiger produziert werden könnte. Daher brauche es eine Kreislaufwirtschaft mit entsprechenden politischen Anreizen auf globaler Ebene in der Textilindustrie, sagte sie. Menschrechtsverletzungen, Gesundheitsschäden und der Klimawandel seien letztlich alles Symptome derselben Krise: Die Überschreitung der planetaren Grenzen.

„Wir müssen daher C2C-Modelle entwickeln, um Produktionssysteme auszubauen, die die Biodiversität regenerieren und den Klimawandel umkehren“, so Shiva.

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