„Die Regulatorik bestimmt die Märkte“

Dr. Michael Brandkamp, Managing Partner des European Circular Bioeconomy Fund, spricht mit dem RECYCLING magazin über Investitionen in die Bioökönomie, die Notwendigkeit von Verboten und die Bedeutung des Recyclings.
Dr. Michael Brandkamp ist Gründer und General Partner des European Circular Bioeconomy Fund (ECBF). Copyright: ECBF

Erzählen Sie mir etwas über den European Circular Bioeconomy Fund.
Der ist neu, den gibt es seit 2020. Ziel des Fonds ist, die Transformation von einer fossilbasierten linearen Wirtschaft zu einer biobasierten Kreislaufwirtschaft zu unterstützen, indem wir innovative Unternehmen finanzieren, die biobasierte Geschäftsmodelle der Kreislaufwirtschaft voranbringen. Wir haben dafür Investoren gefunden, die diesen Gedanken teilen. Das sind Investoren aus der Finanzwelt, unter anderem die European Investment Bank, aber auch Banken aus Frankreich, den Niederlanden und Deutschland. Außerdem haben Versicherungen, große Unternehmen und einige Familien-Offices investiert. Wir haben 26 Investoren, die uns insgesamt 300 Millionen Euro anvertraut haben. Dieses Kapital investieren wir nun in europäische Unternehmen, die am Ende einen Unterschied machen und die Transformation voranbringen.

Das sind keine ganz frühen Start-ups, sondern Unternehmen, die ihre Technologie bereits entwickelt haben und die wir dann auf ein europäisches oder globales Niveau entwickeln wollen.

Was ist denn die Motivation für Banken und Versicherungen, in solche Unternehmen zu investieren?
Die Investoren verfolgen zwei Ziele. Das eine ist eine gute, marktorientierte Verzinsung des Geldes. Das zweite ist ein Impact-Gedanke, ein Beitrag zu dieser Transformation. Das machen wir auf höchstem Niveau, entsprechend der sogenannten Sustainable Finance Disclosure Regulation. Wir tätigen nur Investments, die auch wirklich einen Impact haben und mit klar definierten Kriterien, die Standards für Umwelt, Soziales und gute Governance definieren, im Einklang sind. Das heißt, Investoren haben alle diese Doppelzielsetzung: zum einen Geld verdienen und zum anderen sinnstiftend investieren.
Wir vom Team des European Circular Bioeconomy Fund haben alle unsere festen Jobs gekündigt, um hier einen Beitrag zu leisten. Es geht darum, die höchsten Ansprüche umzusetzen. Wir wollen alles, was Greenwashing ist, vermeiden und haben Systeme entwickelt, um ausschließlich Unternehmen zu finanzieren, die einen solchen Impact auch wirklich liefern. Es geht darum, CO₂ messbar zu verringern und andere Ziele, wie Biodiversität, Landverschmutzung usw. nicht zu verletzen. Damit wollen wir Greenwashing vermeiden.

Was für eine Rolle spielt dabei die EU-Taxonomie?
Wir haben uns die Taxonomie im Detail genau angeschaut. Aber wir folgen Artikel 9 der Sustainable Financial Disclosure Regulation, weil diese konkreter auf unsere Zielmärkte und Branchen zugeschnitten ist. Die Taxonomie behandelt die Themen der Bioökonomie ja nicht so explizit. Außerdem ist sie politisch auch ein wenig entgleist. Deswegen sind wir ganz dankbar, dass wir uns nach diesem anderen Regelwerk, das von den meisten Investoren in Europa anerkannt wird, richten können.

Weil Sie das Thema Greenwashing ja gerade auch schon angesprochen haben: Wie schätzen Sie da den aktuellen Vorschlag der Kommission ein? Wird Sie das eher unterstützen?
Wir hoffen, dass wir klare Vorgaben bekommen. Man muss aber vorsichtig sein, dass wir nicht bürokratische Monster aufbauen und den Unternehmen große Reportingverpflichtungen auferlegen, die dann am Ende bremsen. Das ist wie immer ein Trade-off. Aber generell unterstützen wir die Bereitschaft der EU, über solche Systeme das Greenwashing zu verhindern. Die größte Gefahr, die wir haben, ist, dass durch übertriebene Marketingaktivitäten am Ende das Vertrauen der Konsumenten verloren geht. Das könnte unser ganzes Vorhaben gefährden.

Welche Art von Unternehmen bekommen von Ihnen Geld? Wo genau investieren Sie?
Wir teilen die Bioökonomie in vier Subsektoren auf. Erstens die Produktion von Biomasse, also Agrartechnologien und Technologien, um Biomasse aus den Meeren zu gewinnen oder effizienter herstellen zu können. Zweitens die Ernährungsindustrie oder die Verwertung von organischen Abfällen, um daraus wieder hochwertige Nahrungsmittel herstellen zu können. Das ist ein großes Thema, weil ein Drittel aller Lebensmittel zu Abfall wird. Als Drittes investieren wir in biobasierte Materialien, die zum Beispiel in nachhaltigeren Verpackungen zum Einsatz kommen. Dabei geht es auch um das klassische Recycling, denn wir wollen, dass die Materialien dauerhaft genutzt und im Kreis geführt werden. Aber es kann nicht alles recycelt werden, daher geht es auch darum, Materialien zu finden, die sich vielleicht ähnlich wie Papier nach einem gewissen Zeitraum zersetzen, ohne die Meere mit Mikroplastik zu verseuchen. Das vierte Feld bezieht sich auf Themen wie Textilrecycling oder auch klassische industrielle Biotechnologie, die man auch unter Sustainable Chemistry zusammenfassen kann. Dabei fokussieren wir uns auf Bioökonomieunternehmen aus ganz Europa und Israel.

Sie beschäftigen sich also nicht ausschließlich mit dem Stoffstrom Biomasse, sondern auch mit anderen Stoffströmen wie Kunststoffen oder Textilien?
Der Fonds selbst investiert nur da, wo es sich um biobasierte Kunststoffe handelt. Aber natürlich wissen wir, dass Recycling das Thema Nummer eins ist. Wir benötigen die Recyclingfähigkeit von Materialien und müssen dazu die Vielfalt des verwendeten Plastiks vermindern, damit die Recyclingquoten hochgehen. Was nützen uns neue Materialien mit den besten Eigenschaften, wenn sie zwar recycelbar sind, aber nicht recycelt werden, weil es keine Methoden gibt? Wir müssen also schrittweise fossile Quellen durch biobasierte Quellen ersetzen und dann die Wertstoffe lange im Kreislauf führen.

Ob man als Zwischenschritt noch kompostierbare Biokunststoffe nutzt, ist die Frage. Wir glauben, dass das für bestimmte Bereiche sinnvoll ist und neben dem Recycling eine Rolle spielen kann. Aber vorrangig ist das Recycling. Trotzdem sollte eine biologische Abbaubarkeit gegeben sein. Denn laut einer aktuellen Studie des Consultingunternehmens SystemIQ landen circa fünf Prozent der Abfallströme irgendwo – im Ozean, auf Deponien oder werden exportiert. Der größte Teil der Plastikabfälle wird heute verbrannt. Die thermische Verwertung liegt bei rund 40 Prozent. Aus der gelben Tonne werden derzeit nur etwa 14 Prozent einem Recycling zugeführt. Und da liegt aus unserer Sicht auch der größte Hebel, die Recyclingquote zu erhöhen. Aber die 5 Prozent von den rund 350 Millionen Tonnen Plastikmüll, die jährlich anfallen, machen uns auch große Sorgen.

Sie sind überzeugt, dass Verbote notwendig sind. Warum?
Die Regulatorik bestimmt die Märkte. Wir glauben an unternehmerische Energie. Wir wollen diese unternehmerische Energie fördern. Jeder Unternehmer ist aber immer in einem Rahmen unterwegs. Dieser Rahmen bestimmt die Richtung unternehmerischen Handelns ganz erheblich. Ohne Regulatorik können wir in der Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft keine Geschwindigkeit erreichen. Innovationen erschließen große Märkte, indem wir Dinge so regeln, das neue, nachhaltige Produkte wettbewerbsfähig werden. Wir sehen ja, dass nach Verboten andere Produkte entstehen, etwa bei Q-Tips oder Plastikbesteck. Ohne Verbot wäre das nie passiert. Auch der Transfer von Glühbirnen zu LED wäre ohne Regulatorik nicht möglich gewesen. Es entwickeln sich Marktkräfte, die rasch in der Lage sind, Innovationen und neue Entwicklungen vo­ranzubringen. Aber ohne Verbote würde das nicht passieren. Die Unternehmen müssen in einem Rahmen arbeiten. Und ich bin überzeugt, dass die unternehmerischen Marktkräfte die stärksten sind, um den Wandel zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft voranzubringen. Wir wollen keinen Dirigismus von oben nach unten, aber wir müssen diesen Rahmen sauber definieren. Verbote sind unbeliebt. Man kann daher auch mit Anreizen arbeiten, wie mit der Plastiksteuer.

Sie haben die SUP-Richtlinie angesprochen. Daran wird häufig kritisiert, dass es eher Symbolpolitik ist und die grundsätzlichen Probleme nicht löst. Wie sehen Sie das?
Natürlich reicht das nicht. Eine Besteuerung auf Einwegkunststoffe wäre schon sinnvoll und spürbar. Ich glaube auch, dass wir bei den Verbunden etwas machen müssen, weil da die größten Probleme liegen. Wer Verbunde herstellt beziehungsweise nutzt, soll dafür zur Kasse gebeten werden. Mehr PET wäre eine Alternative. Und demnächst gibt es PEF, das ähnlich gute Eigenschaften hat, aber biobasiert ist und die PET-Recyclingströme nutzt.
Am Ende werden fossilbasierte Produkte teurer. Und dann ist eine biobasierte, ökologische Verpackung plötzlich wettbewerbsfähig. Die Hersteller von Verbunden oder fossilbasieren, nicht recycelbaren Materialien haben dadurch einen Wettbewerbsnachteil. Aber das ist fair, da sie diesen Vorteil nur dadurch haben, dass sie auf Kosten der Umwelt ihre Geschäfte machen. Es geht um die Internalisierung von externen Effekten, die sich im Preis widerspiegelt. Erst dann haben wir einen fairen Wettbewerb.

Sie haben mehrfach biobasierte Kunststoffe angesprochen. Die gelten ja heute im bestehenden System als nicht recyclingfähig und verunreinigen den Stoffstrom.
Genau, da gibt es Plastikmaterialien, die kompostierbar sind, aber nur unter ganz bestimmten Bedingungen. Wenn die mit in der Biotonne sind, verunreinigen sie die Bioabfallströme. Deswegen gehen viele wieder einen Schritt zurück. Ich bin aber der Meinung, dass wir biobasierte Materialien entwickeln müssen, die den Standard-Recyclingströmen auch folgen können. Im Prinzip kann man am Ende Naphtha auch aus Biomasse herstellen. Material ist ja vorhanden, etwa die nicht genutzten Lebensmittel. Und wenn wir die nutzen würden, wäre das schon einmal ein gewaltiger Fortschritt. Und ja, die sind teurer. Das heißt, eigentlich sind die anderen zu billig, weil die externen Kosten einfach nicht eingepreist werden. Eine regulatorische Stelle sollte grundsätzlich das Mindset haben, solche Externalitäten in den Preis einzubeziehen. Und das macht man zum Beispiel über Steuern.

Wir nehmen die Sicht von Investoren ein und wollen nicht missverstanden werden: Wir sind kein großer Freund des klassischen Verbietens und des Regelns. Sondern wir wollen einen Rahmen setzen, in dem man sich unternehmerisch erfolgreich entfalten kann. Wir wollen innovative Unternehmen der Bioeconomy unterstützen, diese auf ein europäisches Niveau bringen, damit wir einen spürbaren Effekt erzielen. Aber ich glaube, ohne Regulatorik geht es nicht so schnell, dass diese Innovationen auch in die Breite gehen und dass wir diese Effekte erreichen, die wir zügig benötigen, um so zu wirtschaften, dass wir unseren Planeten dauerhaft auf hohem Standard bewohnen können.
Das Interview führte Michael Brunn

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