„Stöckelschuhtauglicher“ Recyclinghof

Die Betreiber eines Recyclinghofs in der Schweiz wollten weg vom Müllhalden-Image: Im März haben sie in dem kleinen Schweizer Ort Reinach ihren Wertstoffhof „Recycling-Paradies“ eröffnet.

Es erinnert an eine Herkulesaufgabe: Einen tendenziell lauten, schmutzigen und manchmal auch übel riechenden Ort für Abfälle in ein praktikables Ausflugsziel inklusive Kinderattraktionen umzubauen. In der Schweiz hat sich Karin Bertschi mit ihrem Team genau das zur Aufgabe gemacht. Und diese mit Erfolg gelöst.

Im März 2010 hat in dem kleinen S­chweizer Ort Reinach ein völlig neu ­konzipierter Recyclinghof seine grünen Tore geöffnet. Und da Namen nicht immer Schall und Rauch sind, trägt der neue Wertstoffhof den ­klangvollen Titel „Recycling-Paradies“. „Wir wollten einen Ort ­schaffen, an dem sich die Abfälle wohlfühlen“, erklärt Bertschi einen Teil des Konzepts. „Es geht nicht nur darum, dass die Besucher, den Hof als Paradies empfinden, sondern vor allem, dass der Müll hier ins Paradies gebracht wird, sich wohlfühlt und dann sozusagen wieder auferstehen kann.“

Die 20-jährige Schweizerin ist Geschäftsführerin des Recycling-Paradieses und mit den Themen Abfall und Recycling groß geworden. Ihr Vater gründete in den 1980er-Jahren die Bertschi Mulden- und Container Transporte AG. Seit 1999 betreibt das Unternehmen die offizielle ­Sammelstelle der Gemeinden Reinach und Leimbach AG.

Wie in Deutschland können und sollen die Schweizer Verbraucher ihren Sperrmüll in den kommunalen Wertstoffhöfen abgeben. Allerdings unterhält nicht jede Gemeinde in der Alpenrepublik einen Recyclinghof, teilweise kann nur ein Bruchteil der ­Abfälle dort abgegeben werden. Da aber das Umweltbewusstsein und die Trennlust der Schweizer ständig steigen, entschloss sich ­Familie Bertschi nicht nur zu einer Erweiterung des bestehenden Wertstoffhofes, ­sondern zu einer kompletten Neukonzeptionierung.

„Stöckelschuhtauglich“, fasst Bertschi die Idee hinter dem Recycling-Paradies zusammen. „Die Besucher dürfen sich nicht wie auf einer Müllhalde fühlen.“ Alles soll möglichst sauber, leise, aufgeräumt, farbenfroh und vor allem praktisch für die Bürger sein, die mit ihren Abfällen vorfahren. Auf rund 900 Quadratmetern ist innerhalb weniger Monate eine große grüne Halle entstanden, deren Innenleben einem Drive-through eines Fastfood-Restaurants gleicht. Nur dass die Besucher an den einzelnen Stationen nichts bekommen, sondern loswerden.

Anfahrten von bis zu 20 Kilometern

Über 30 verschiedene Recyclinggüter – von Papier über Textilien, von CDs bis hin zu Flaschenkorken – können im Recycling­paradies abgegeben werden. Fast alle ­Abfälle nehmen Bertschi und ihr Team kostenlos zurück. Lediglich für gemischten Abfall, Holz und Möbel, Kompost, Pneu, Steingut, ­Keramik und Styropor wird ein Entsorgungsbeitrag fällig.

Jede Station, an der die jeweiligen Stoffe abgegeben werden können, ist mit ­großen grünen Behältern ausgestattet. An den Boxen sind Bilder und Hinweisschilder angebracht, damit jeder Sekundärrohstoff in der richtigen Kiste landet.
Je nach Wochentag helfen zwischen zwei und sieben Mitarbeiter beim Ausladen und Zuordnen der einzelnen Wertstoffe. „Vor allem an Samstagen ist der Andrang groß“, schildert Bertschi. „Pro Woche kommen rund 1.500 Recyclingfreudige.“ Das ist deshalb bemerkenswert, weil Reinach nur knapp 7.700 Einwohner hat. „Manche nehmen auch Fahrten von 20 Kilometern auf sich, um ihre Abfälle bei uns zu entsorgen“, betont die Geschäftsführerin nicht ohne Stolz. Die Getrenntsammlung bei den Haushalten in der Schweiz ist nicht sonderlich ausgeprägt. So werden Kunststoffe beispielsweise nicht gesondert abgeholt. Die Schweizer Getrenntsammler müssen in den meisten Fällen den Müll in Eigenregie wieder loswerden und ihn zu den Höfen fahren.

Damit ihre Motivation so hoch wie möglich ist und bleibt, hat das Planungsteam eine Kindersammelstelle eingerichtet. Dort können die Eltern den Nachwuchs vor ihrer Tour durch die Recyclinghalle abgeben. „In unserer Spielburg sind die Kinder gut aufgehoben“, verspricht Bertschi. Im Kinder-Paradies lernen die Kleinen spielerisch die verschiedenen Abfallarten kennen, dürfen mit unbedenklichen Resten ­spielen und basteln – und es besteht vor allem nicht die Gefahr, dass sie versehentlich vor eines der Autos in der Durchfahr-Entsorgungsstraße laufen.

Zur Adventszeit kam auch der Samichlaus ins Recycling-Paradies, aber er hatte statt seinem Gefährten Knecht Ruprecht den Schmutzli mit dabei. Mit weiteren Aktionen locken die Betreiber ganze ­Schulklassen in ihr Paradies. „Wir führen ­Besichtigungen durch, zeigen beispielsweise, wie eine ­Karton-­Ballenpresse funktioniert, erklären den Kindern, wie eine PET-Flasche recycelt wird, wie sich Metalle von Alteisen unterscheiden und welche Materialien wieder­verwendet werden können.“

Welchen oft lauten Weg die ­Abfälle anschließend gehen, davon bekommen die Besucher nichts mit. Erst nach Schließung für den Durchgangsverkehr ­werden die ­Abfälle weiterverarbeitet. Teilweise im ­eigenen ­Mutterunternehmen, oder sie ­werden bei den Rücknahmesystemen abgegeben. Diese bezahlen feste Preise, die ­wiederum aus der vorgezogenen Entsorgungsgebühr finanziert werden. „Mache Materialien, wie Reifen, Metalle und Altpapier, vermarkten wir aber selbst“, erklärt Bertschi. „Die verkaufen wir dann an Zementwerke, Papierfabriken oder Stahlwerke weiter“. Die Gemeinde entschädigt das Unternehmen bei einigen Stoffen mit einem fixen Betrag pro Einwohner. Für Korken oder Nespresso-Kapseln bekommt die Firma jedoch kein Geld. „Wir wissen, dass Kork langsam ausgeht. Also sammeln wir ihn trotzdem, auch wenn wir damit nichts verdienen“, betont die junge Schweizerin.

Neben Getrennt­samm­lern und neugierigen Kindern aus der Umgebung, betreten immer häufiger weitgereiste Besucher das Recycling-Paradies. Bauamtschefs aus der ganzen Republik schauen sich das überraschend simple, aber doch wirkungsvolle Konzept an und holen sich Ideen für ihre eigenen Wertstoffhöfe. Auch die Firma selbst denkt schon weiter. „Wir planen neue Sammelstellen“, verrät Bertschi. „Wo genau, ist noch geheim.“

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