Den Standort nachhaltig sichern

Glaubt man aktuellen Medienberichten, steht der Standort Deutschland quasi schon vor dem Aus.
Foto: Wolfgang Eckert; pixabay.com

Von einer Deindustrialisierung ist gerne die Rede. Dabei wird gerne vergessen oder ignoriert, dass Energie- und Mobilitätswende sowie die Kreislaufwirtschaft gerade auch ökonomische Potenziale bieten – die nur nicht von jedem genutzt werden. Die Studie „GreenTech Made in Germany – Best Practice Geschäftsmodelle zur Erschließung grüner Wachstumsmärkte“ der MHP Gesellschaft für Management- und IT-Beratung in Kooperation mit dem Borderstep-Institut zeigt nicht nur die grundsätzlichen Möglichkeiten auf, sondern stellt auch Unternehmen vor, die diese bereits nutzen.

Ziel der Studie ist es, grüne Wachstumsmärkte im Hinblick auf Wachstumsbedingungen, Diffusionsdynamiken und zirkuläre Geschäftsmodelle zu analysieren. „Damit sollen insbesondere für die Zielgruppe Automobilwirtschaft, Maschinenbau und produzierendes Gewerbe Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt und zur Übernahme und Adaption angeregt werden, um die Marktentwicklung für GreenTech zu fördern und die Transformation zu einer dekarbonisierten und zirkulären Wirtschaft zu beschleunigen“, heißt es.

Die Kreislaufwirtschaft in Deutschland stehe vor einer kritischen Phase, heißt es weiter. Zwar gelte Deutschland seit Jahren als Vorreiter bei den Recyclingquoten, dennoch seien die Rohstoffströme noch weitgehend linear organisiert. Derzeit gebe es in Deutschland eher eine „kreislauforientierte Abfallwirtschaft“ als eine Circular Economy. Dabei sei die Umsetzung der Kreislaufwirtschaft zum einen aus Gründen des Klima- und Ressourcenschutzes notwendig. Zum anderen würde sie die Wirtschaft stärken, indem sie die Abhängigkeit von Primärrohstoffen verringere und Innovationen fördere. „Es bedarf einer ganzheitlichen Strategie, die Gesetzgebung, Technologie, Bildung und Unternehmenspraxis miteinander verbindet, um eine nachhaltige Transformation der Rohstoffnutzung in Deutschland zu erreichen.“

Auch und gerade für Industrie und Mittelstand sei das Konzept der Kreislaufwirtschaft von besonderer Relevanz. Es sei in Verbindung mit zirkulären Strategien und Geschäftsmodellen ein Instrument für langfristige und nachhaltige Wachstumsstrategien. Ein wesentlicher Ansatz der Kreislaufwirtschaft sei die Dienstleistungsorientierung. Produkte werden nicht mehr verkauft, sondern dauerhaft als Dienstleistung zur Verfügung gestellt. Dadurch kann eine systematische Rückführung gebrauchter Produkte und eine Kreislaufführung gewährleistet werden. Daraus ergibt sich automatisch auch ein größeres Interesse der Hersteller, ihre Produkte qualitativ hochwertig und langlebig zu gestalten. Außerdem werden Materialströme reduziert.

Von großer Bedeutung sind aber auch zirkuläre Planungsstrategien, die bereits bei der Ideenfindung und Produktentwicklung ansetzen, sowie technische Strategien zur Lebensdauerverlängerung und Nutzungsintensivierung. Hier können die sogenannten R-Strategien als Grundlage dienen. Anhand zahlreicher Best-Practice-Beispiele zeigt die Studie, wie die Umsetzung der R-Strategien zu neuen Geschäftsmodellen führen kann.

Recycling von Traktionsbatterien

Die Batteriewertschöpfungskette ist für den Übergang zur Elektromobilität von besonderer Bedeutung. Geschäftsmodelle für das Recycling würden die Sammlung, Aufbereitung und stoffliche Verwertung umfassen. Ferner würden dem eigentlichen Recycling Diagnoseverfahren vorgeschaltet, um noch nutzbare Batterien aufzubereiten und in Second-Life-Anwendungen einzusetzen. Als relevante Akteure nennt die Studie Recyclingunternehmen, Batteriehersteller und zunehmend auch Automobilhersteller.

Eine breite Markteinführung von Traktionsbatterien stehe noch aus. Erst in zehn bis 15 Jahren sei mit größeren Rücklaufmengen zu rechnen. Dies könne sich noch weiter verzögern, wenn die Batterien verstärkt in Second-Life-Anwendungen eingesetzt würden. Bislang beschränke sich der Markt daher primär auf das Recycling von Batterien aus Unfallfahrzeugen und aussortierten Chargen. Die Marktentwicklung ist jedoch grundsätzlich positiv, da der Anteil an Elektrofahrzeugen in den nächsten Jahren stark zunehmen wird. Die Menge der zu recycelnden Batterien wird voraussichtlich von 5 GWh im Jahr 2023 auf bis zu 1.000 GWh im Jahr 2050 ansteigen. „Durch den höheren Zustrom an Altbatterien kann das bisher unwirtschaftliche Recycling kosteneffizienter und damit günstiger werden“, heißt es in der Studie. Der Break-even-Punkt für das europäische Batterierecycling wird für 2025 erwartet. Der hohe politische Druck werde zu einer hohen Verbreitungsdynamik führen. „Es ist zu erwarten, dass die daraus resultierenden Skaleneffekte und die angeregten technischen Entwicklungen im Batterierecycling zum Abbau bestehender Barrieren auf Anbieter- und Nutzerseite führen werden.“

Das Unternehmen Heimdalytics hat eine Diagnosetechnik für Traktionsbatterien entwickelt, die eine Analyse bis auf Zellebene ermöglicht. Damit sollen defekte Zellen schnell identifiziert und vor dem Recycling entladen werden können. Dabei sieht das Unternehmen den Einsatz der Diagnosetechnik im Recycling als ersten Schritt auf dem Weg zum Refurbishment. Mithilfe der Diagnosetechnik kann die Restqualität von Modulen bestimmt werden. Diese können dann aufbereitet und einem zweiten Leben zugeführt werden.

Remanufacturing

Unter Remanufacturing versteht man branchenunabhängig die Rücknahme, Reinigung, Aufarbeitung und ggf. Reparatur von Produkten, um diese wieder auf den Markt zu bringen. Wiederaufbereitete Maschinen haben die gleiche Qualität wie neue Maschinen, jedoch zu geringeren Herstellungskosten. Außerdem können große Mengen an Rohstoffen, Wasser und Energie eingespart werden. In vielen Branchen ist dies seit Jahrzehnten gängige Praxis. Durch politische Vorgaben gewinnt das Thema weiter an Bedeutung, was eine positive Marktentwicklung begünstigt.

Der Baumaschinenhersteller Liebherr bereitet am Standort Ettlingen bereits seit 2004 gebrauchte Antriebskomponenten wieder auf und erzielt damit heute einen Jahresumsatz von 350 Millionen Euro. Zudem können durch die Wiederverwendung von Bauteilen bis zu 50 Prozent CO₂ gegenüber der Herstellung von Neuteilen eingespart werden.

Auch bei Borg Automotive hat man das Potenzial des Remanufacturing früh erkannt. Heute ist das Unternehmen einer der größten unabhängigen Anbieter für Remanufacturing in Europa. Wichtigste Zielgruppe ist der Autoteile-Großhandel. Dieser zahlt für jedes Bauteil ein Pfand, das bei Rückgabe erstattet wird. Die Pfandgebühr beträgt je nach Bauteil zwischen 10 und 300 Euro. Etwa 70 bis 75 Prozent der bei Borg aufbereiteten Bauteile kommen auf diese Weise zurück. Das ist entscheidend, denn das Geschäftsmodell funktioniert nur, wenn genügend alte Bauteile zur Verfügung stehen.

Refurbish & Repurpose

Die Aufarbeitung und Wiederverwendung von Traktionsbatterien erfordern die Sammlung und Diagnose gebrauchter Traktionsbatterien. Ein potenzielles Anwendungsgebiet ist der Einsatz als stationäre Stromspeicher. Allerdings ist die Situation ähnlich wie beim Batterierecycling: Bisher stehen kaum Batterien zur Verfügung. Auch hier ist eine positive Marktentwicklung zu erwarten.

Die Firma Voltfang hat sich auf stationäre Second-Life-Batteriespeicher spezialisiert. Verwertet werden Batteriemodule mit einer Restkapazität von über 80 Prozent. Mit einem selbst entwickelten Test wird der genaue Lebenszyklus einer Batterie berechnet. Die Kunden von Voltfang kommen aus Gewerbe und Industrie.

Be.storaged bietet branchenübergreifend Speichersysteme für Gewerbe, Industrie und Privathaushalte an. Die Kund*innen können sich dabei zwischen First- und Second-Life-Batteriesystemen entscheiden.

Wiederverwendung

Photovoltaik ist ein wichtiger Baustein der Energiewende. Gebrauchte Module können zur Ressourcenschonung beitragen und sind zudem günstiger als neue Module. In der Regel ist nach einer Erstnutzung von 25 Jahren eine Zweitnutzung von weiteren 10 bis 15 Jahren möglich. Das Potenzial ist also enorm. Geschäftsmodelle für die Wiederverwendung umfassen die Reparatur, die Instandsetzung oder die direkte Wiederverwendung. Bisher gibt es noch keinen großen Markt für gebrauchte Module. Eine positive Marktentwicklung ist jedoch zu erwarten.

Die Firma 2nd Life Solar ist ein Unternehmen des Entsorgungsdienstleisters Buhck. Es hat Zugriff auf Module, die entsorgt werden sollen. Besonders interessant sind große Solarparks, die nach zehn bis zwölf Jahren ihren Bestand austauschen. Je nach Zustand der Module werden sie dem Recycling zugeführt oder für eine weitere Verwendung geprüft. Die Wiederverwendungsquote liegt je nach Solarpark zwischen 50 und 80 Prozent. Der Preis für die gebrauchten Module liegt 30 bis 50 Prozent unter dem für neue Module. Zudem werden pro Modul etwa 300 bis 350 Kilogramm CO₂-Emissionen vermieden.

Instandhaltung und Reparatur

Bei diesem Geschäftsmodell geht es darum, den Kunden über den reinen Verkauf hinaus zu unterstützen, damit das Produkt oder die Dienstleistung über den gesamten Lebenszyklus zufriedenstellend funktioniert. Die angebotenen Dienstleistungen reichen dabei von Wartung, Reparatur, Ersatzteillieferung und Software-Updates über Ferndiagnose und Produktschulung bis hin zur Rücknahme von Altgeräten. Full-Service-Verträge sind in vielen Branchen längst gängige Praxis. Die Marktentwicklung in diesem Bereich sei weiterhin positiv. Allerdings werde die Verbreitungsdynamik einerseits durch fehlendes Servicepersonal und andererseits durch mangelnde Aufmerksamkeit
gebremst. Dies werde sich jedoch mittelfristig ändern.

Die Firma Festool produziert und vertreibt handgeführte Elektrowerkzeuge vor allem an Handwerksbetriebe. Um die Lebensdauer der Produkte zu verlängern, werden verschiedene Dienstleistungen angeboten. So wird zum Beispiel bei einer Registrierung die Garantie verlängert. Weitere Dienstleistungen sind Reparaturen mit Austausch einzelner Komponenten sowie die Rücknahme von Altgeräten.

Nutzungsorientierte Dienstleistungen

Beim Wärmepumpen-Contracting werden die Anlagen geliefert, installiert und gewartet. Die Anlage bleibt für die vereinbarte Vertragslaufzeit im Eigentum des Anbieters, der damit auch das Investitionsrisiko trägt. Für den Anbieter ist dies ein Anreiz, bereits bei der Produktgestaltung auf eine lange Lebensdauer, geringe Wartungsintensität und hohe Reparaturfreundlichkeit zu achten. Das Wärme-Contracting wurde bereits in den 1990er-Jahren eingeführt, allerdings meist in Großprojekten. Wärmepumpen werden erst seit der aktuellen Energiekrise verstärkt nachgefragt. Der Energieversorger EWE bietet seit 2002 Wärme-Contracting an, vor allem für Gasanlagen für Privathaushalte und Gewerbekunden. Seit 2022 bietet das Unternehmen auch Contracting für Wärmepumpen an. Das bisherige Gasgeschäft wurde Mitte 2023 eingestellt.

Ergebnisorientierte Dienstleistungen

Pay-per-Performance-Geschäftsmodelle sehen eine leistungsabhängige Preisgestaltung vor, wobei das Produkt Eigentum des Anbieters bleibt. Statt eines festen Preises zahlen die Kunden für erbrachte Leistungen, zum Beispiel nach Betriebszeit, Verfügbarkeit, Produktionsmenge oder Einsparungen. Für die Anbieter bestehe ein besonderer Anreiz, einen energie- und ressourceneffizienten Betrieb zu gewährleisten. Auch für die Nutzer*innen gebe es eine ökonomische Motivation, den Einsatz des Produktes zu reduzieren. Das Geschäftsmodell sei relativ neu, da die technischen Voraussetzungen erst seit wenigen Jahren gegeben seien. Trotz der ökologischen und ökonomischen
Vorteile sei die derzeitige Verbreitungsdynamik jedoch eher gering. „Dies ist vor allem auf die hohen technischen Hürden sowie den Anpassungsbedarf bei Anbietern und Zielgruppe und die damit verbundenen Unsicherheiten zurückzuführen“, heißt es.

Der Maschinenbauer Trumpf hat 2019 mit der Entwicklung eines entsprechenden Geschäftsmodells begonnen. Ab 2022 soll das Pay-per-Teile-Modell für das Laserschneiden angeboten werden. Dabei bleibt nicht nur die Anlage im Besitz von Trumpf, sondern es wird der gesamte Prozess angeboten, bei dem der Kunde nur die gefertigten Teile bezahlt.

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