GKV/TecPart: Keine Zeit für Experimente

Die aktuelle Krise bestimmte die Themen der TecPart-Jahrestagung in Papenburg.
Foto: Džoko-Stach; pixabay.com

Das Umsatzwachstum in der Branche liegt im ersten Halbjahr 2022 bei 13,3 %, bei den Herstellern von technischen Teilen jedoch nur bei 6,2 %. „Dies darf nicht über die wahren Probleme hinweg täuschen“, mahnte Felix Loose, Vorsitzender von GKV/TecPart. Besonders deutlich wird dies im größten Segment der Kunststoffverarbeitung, bei den Herstellern von technischen Teilen, das mit seinen 900 Unternehmen von TecPart vertreten wird. Die teils verzehnfachten Energiepreise können neben den ebenfalls stark gestiegenen Material-, Personal- und Logistikpreisen so schnell nicht an den Markt weitergegeben werden, wie sie auf der anderen Seite steigen. Wesentliche Ursache ist der preistreibende Effekt des Merit-Orderprinzips für den Strompreis.

„Es ist die vertane Chance der Bundesregierung, in dem Entlastungspaket keinen Industriepreisstromdeckel einzuführen! Es wäre völlig ausreichend gewesen, wenn die preistreibende Gasstromproduktion aus der Preisbildungsberechnung gezogen worden wäre. Zudem ist es uns völlig unverständlich, wie ein grüner Wirtschaftsminister auf CO₂-schädliche Kohleverstromung setzt, statt die 16 Mrd. kWh Atomstrom am Netz zu lassen“.

„Herr Scholz – es ist keine Zeit für Experimente“ so Loose weiter, „wir können nicht auf das Prinzip Hoffnung setzen, schon irgendwie durch den Winter kommen“. Wenn die Regierung jetzt nicht schnell handelt, wird ein eventuell dann günstiger Industriestrom die Unternehmen nicht mehr erreichen! Hinzu kommen weitere Einschläge: Die Kaufkraft schwindet, in der Industrie bleiben jetzt schon Investitionen aus. Wie das Kölner Institut der Wirtschaft ermittelt hat, wurden durch die Krisen bereits 70 Mrd. Euro nicht in die Dekarbonisierung investiert. Der Maschinenbau rechnet mit zurückgehenden Aufträgen in 2023, die in der Bauindustrie bereits sichtbar sind. Auch in wichtigen Kundenindustrien gehen die Auftragsbestände und die Auftragseingänge bedrohlich zurück.

Wenn den Unternehmen und den privaten Haushalten über den Energiemarkt weiter Liquidität entzogen wird, werden sich Insolvenzen in der Industrie nicht vermeiden lassen. Dann wird die erwartete Rezession zu einer steigenden Arbeitslosigkeit führen. Um die Insolvenzwelle in der Zulieferindustrie zu verhindern muss, es dringend politische Entscheidungen geben. Wir müssen verhindern, dass das Rückgrat unserer Industrie, der Mittelstand und die Automobilindustrie dem Land verloren gehen. Abwanderungen und Unternehmensaufgaben stehen vor der Tür!

Wir rufen die Bundesregierung auf, sofort wirksame Entlastungen für die Industrie einzuführen:

  • Strompreisdeckel: Der preisbestimmende Faktor darf nicht mehr durch Gaskraft-werke gesetzt werden.
  • Liquiditätssicherung: Aussetzen oder Strecken der Coronakreditrückzahlungsmodalitäten.
  • Übergangszeiträume schaffen und die Insolvenzantragspflicht befristet aussetzen
  • Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke bis 2024, um nicht die Gasmangellage weiter zu verschärfen.
  • Verlängerung und Ausdehnung des Energiekostendämpfungsprogramms auf die gesamte kunststoffverarbeitende Industrie.
  • Überprüfung der Abschaltpriorität im Gasbereich zugunsten der Grundstoffindustrie.

Trotz der angespannten Lage gibt es unverändert Lichtblicke. Die kunststoffverarbeitende Industrie wird ein Treiber bei der Dekarbonisierung bleiben. Werkstoffbedingt benötigen Kunststoffprodukte weniger Energie bei der Verarbeitung und durch das meist geringer Gewicht wird zudem weniger Energie während der Nutzung verbraucht. Der steigende Einsatz von Rezyklaten leistet einen weiteren Beitrag zur Ressourcenschonung. Die im TecPart organisierten Compoundierer und Recycler leisten hier schon seit Jahren Pionierarbeit. Durch die Gremienarbeit von TecPart in der europäischen und der nationalen Normung wird diese Leistung der Industrie abgesichert und vorangetrieben. Im engen Dialog mit den Abnehmerindustrien findet zudem ein Austausch zwischen den Kunststoffverarbeitern, deren Kunden und den Recyclern statt. Loose mahnt an dieser Stelle, dass hier jedoch mehr Mitwirkung aus der kunststoffverarbeitenden Industrie erforderlich ist, um die mindestens 50 Vorhaben auch leisten zu können.

Den notwendigen Dialog mit den Abnehmerindustrien unterstrich auch Tobias Hain, Geschäftsführer beim Industrieverband Massivumformung, der ein Tool zur CO₂-Bilanzierung in der Zulieferindustrie vorstellte. Ulrich Schlotter, Leiter Projekte bei der BKV, beleuchtete die Verfügbarkeiten von Rezyklaten insbesondere in technischen Anwendungen und verwies darauf, dass es eine große Diskrepanz zwischen Herstellung von Fahrzeugen und deren Rückläufen zur Verschrottung gebe und es aus dieser deutlich verringerten Menge heute wie auch zukünftig schwer sein dürfte, relevante Rezyklatmengen zu erzeugen. Bei höheren Wünschen an die Rezyklatquote in den Automobilen müssten diese wohl auf andere Rezyklatströme zurückgreifen, die heute entweder schon vergeben sind oder noch gar nicht existieren.

Weitere Engpässe zeigte Frau Professor Kuchta, Vizepräsidentin der Technischen Hochschule Hamburg in ihrem Vortrag auf. Sie zeigte jedoch auch, dass mit einer ehrlichen Begeisterung für die Aufgabe auch junge Leute für die Branche gewonnen werden können. Man müsse sich „nur“ von manch angestaubten Begrifflichkeiten und Standpunkten verabschieden und laut sein. Das gelte auch in der Diskussion im Bereich der Nachhaltigkeit und der Kreislaufwirtschaft.

Praktische Maßnahmen für Kunststoffverarbeiter zur Verhinderung einer Insolvenz lieferten die weiteren Vorträge im Programm. So erläuterte Joachim Tosberg, Vorstand der Component Obsolescence Group Deutschland (COGD), in seinem Vortrag den Begriff der Obsoleszenz. Er zeigte an praktischen Beispielen auf, wie in seinem Unternehmen Engpass-Materialien identifiziert und dann abgesichert disponiert werden, um so die Verfügbarkeit der Teile für die Produktion sicherzustellen.

Björn Albert, Geschäftsführer der GGW Kreditversicherungsmakler GmbH, zeigte Wege auf zur Finanzierung der Branche vor dem Hintergrund der Zinswende und den aktuellen Krisen. Berater Dimitrios Koranis, Koranis Purchasing Solutions, beschrieb in einem Impulsvortrag die Entwicklung der Strompreise und wagte eine Prognose der zukünftigen Entwicklung, die wenigstens hier einen Hoffnungsschimmer erkennen lassen, denn sie werden nach seiner Erwartung in absehbarer Zeit wieder sinken.

Dr. Jörg Berkemeyer von der S&P Global Germany stellte dar, wie der Markt elektronischer Bauteile funktioniert und zuletzt die globale und europäische Wirtschaft beeinflusst hat und was künftig zu erwarten ist, hier auch unter der besonderen Betrachtung taiwanesischer Produktionsstätten. Sven und Michael Schmidtmann von der i-strategy GmbH stellten fundamentales Rüstzeug vor, das helfen kann, vorausschauendes Krisenmanagement durchzuführen für eine erfolgreiche Restrukturierung und Sanierung.

Michael Weigelt schloss den Vortragsblock trotz Krisenstimmung mit dem optimistischen Blick in die Zukunft gerichtet und verwies auf die ungebremste Innovationskraft der Branche, wie sie auf der K in Düsseldorf wieder unter Beweis gestellt werden wird. Hier wird TecPart mit seinem Forum der Kunststoffprodukte und der Verleihung des TecPart-Innovationspreis vertreten sein.

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