Belgrad krempelt Müllentsorgung um

In der serbischen Abfallwirtschaft nimmt das mit Abstand größte Einzelprojekt des Landes 2015 endlich konkrete Formen an.

Im Zusammenhang mit dem in Richtung EU-Integration eingeschlagenen Weg verfolgt Serbien im Bereich der Abfallbehandlung und -entsorgung das Ziel, nicht nur die rechtlichen Grundlagen anzupassen, sondern mittel- bis langfristig auch in der Praxis modernen Umweltstandards zum Durchbruch zu verhelfen. Eine funktionierende Trennung, Sortierung und Wiederverwertung des anfallenden Siedlungsmülls steckt jedoch noch in den Kinderschuhen. Entsprechend gilt auch der Nachholbedarf Serbiens, seinen Abfallsektor nach modernen, umweltgerechten Entsorgungs- und Recyclingmethoden zu organisieren, als gewaltig.

Dies trifft auch auf die Hauptstadt Belgrad zu. Um hier langfristig für Abhilfe zu sorgen, wurde bereits 2011 damit begonnen, einen Plan zur Neuordnung des Abfallmanagements umzusetzen. Dieser ist speziell auf die Bedürfnisse der insgesamt knapp 1,7 Mio. Einwohner zählenden Metropolregion zugeschnitten.

Herzstück des lokalen Entsorgungskonzeptes für insgesamt 14 der insgesamt 17 zu Belgrad zählenden Stadtbezirke/-gemeinden ist die Großdeponie Vinca. Sie soll zum Gegenstand eines Betreibermodells im Rahmen einer langfristig angelegten öffentlich-privaten Partnerschaft zwischen der Stadt Belgrad und einem privaten Unternehmen werden. Die Suche nach potenziellen Partnern hat nach langwierigen Vorarbeiten am 9.1.15 mit einer diesbezüglichen Ankündigung auf der Internetseite der Stadt Belgrad begonnen.

Um sich für weitere, später im Jahr 2015 folgende Qualifikationsrunden zu empfehlen, sollten die Interessenten über Erfahrungen verfügen, Großanlagen zur Abfallbewirtschaftung mit einer Kapazität von mindestens 1.000 t pro Tag zu planen, zu finanzieren, zu bauen und zu betreiben. Interessenbekundungen müssen als „Letter of Interest“ und unter Einschluss der testierten Jahresabschlüsse für die beiden letzten Geschäftsjahre bis einschließlich zum 5.2.15 eingereicht werden – und zwar per E-Mail beim Leiter der Direktion für Abfallmanagement der Stadt Belgrad sowie in Kopie beim Belgrader Büro der Weltbanktochter International Finance Corporation (IFC).

Die IFC ist federführend, was die Beratung bei dem Vorhaben angeht. Neben zwei Anwaltskanzleien aus dem Vereinigten Königreich und Serbien, die sich speziell rechtlichen Aspekten des Projektes widmen, ist zudem das in Stuttgart ansässige Planungs- und Beratungsunternehmen Fichtner als Consultant für technische Fragen eingebunden. Für das Ende des gesamten Verfahrens in Form der Auftragsvergabe wird zunächst von einem Termin zum Jahresende 2015 ausgegangen.

Ein wichtiger Aspekt, auf den in der Ankündigung ausdrücklich hingewiesen wird, ist, dass das Sammeln und Erfassen des Mülls sowie dessen Primärtransport nicht zum geforderten Leistungsspektrum zählen. Diese Funktionen obliegen innerhalb der Stadtgrenzen aktuell insgesamt sieben kommunalen Unternehmen. Das größte davon ist Gradska Cistoca. Diese Firma zeichnet aktuell für etwa 85% des in Belgrad anfallenden Mülls verantwortlich. Im Zuge der gesamten Neuordnung des Abfallsektors gilt es als wahrscheinlich, dass die entsprechenden Dienste in Zukunft unter einem Dach zusammengeführt werden.

Die Kippe Vinca nimmt seit 1977 regelmäßig die Abfälle von 13 der insgesamt 17 Stadtbezirke/-gemeinden Belgrads auf. Im Jahr 2013 sind nach Erhebungen des kommunalen Entsorgungsunternehmens Gradska Cistoca etwa 708.000 t Abfall auf diese Deponie gelangt. Darunter entfiel auf Siedlungsmüll mit knapp 74% (523.000 t) der größte Anteil. Bau- und Abrissschutt folgte mit gut 25% (180.000 t).

Die vier Vorstadtbezirke Sopot, Mladenovac, Obrenovac und Lazarevac sammeln ihren Haus- und Industriemüll gegenwärtig noch separat auf dort jeweils vorgehaltenen Deponien. Da diese den zwischenzeitlich verschärften Umweltstandards kaum noch gerecht werden, sollen sie schrittweise geschlossen und anschließend saniert und rekultiviert werden. Als Alternative zu dieser Form der Mülllagerung ist vorgesehen, das Abfallmanagement für die im Westen und Südwesten Belgrads gelegenen Vorstadtbezirke (Barajevo, Lazarevac und Obrenovac) künftig auf den benachbarten Regionalverbund Kolubara zu übertragen.

Für die anderen Belgrader Vorstadtbezirke, die ihren Müll vorerst noch in eigener Regie verantworten, ist vorgesehen, die Zuständigkeit auf den Vinca-Komplex zu verlagern. Doch auch die aktuell noch betriebene Deponie Vinca, die knapp 20 km außerhalb des unmittelbaren Stadtzentrums liegt und deren Areal bisher über eine Grundfläche von etwa 70 ha verfügt, soll mittelfristig stillgelegt sowie unter Federführung des noch zu bestimmenden strategischen Partners zurückgebaut und durch eine neue Deponie ersetzt werden.

Unter die Sanierungsmaßnahmen fällt auch der Bau eines Kraftwerks mit einer Leistung von rund 4 MW, um auf dem Gelände der alten Vinca-Kippe die durch die Altbestände an Müll entstehenden Deponiegase energetisch verwerten zu können. Weitere Schwerpunkte im Rahmen des Engagements des strategischen Partners sind Bau und Betrieb einer Anlage zur mechanisch-biologischen Abfallbehandlung, in der aus dem aufbereiteten Müll so genannter Refuse Derived Fuel (RFD; Ersatzbrennstoff) hergestellt werden kann. Dieser ist für die Strom- und Wärmegewinnung in einer Anlage mit Kraft-Wärme-Kopplung bestimmt, die ebenfalls vor Ort neu gebaut werden soll. Laut der Abfallstrategie für Belgrad könnten die Leistungsparameter hierfür bei 80 bis 90 MW Wärme und 10 MW Strom liegen.

Das Aufgabenspektrum im Rahmen des Vinca-Vorhabens umfasst des Weiteren den Bau und Betrieb einer so genannten Materialrückgewinnungsanlage. Mit deren Hilfe könnten vor allem wiederverwertbare Bestandteile des Siedlungsmülls aussortiert und wiederverwertet werden. Geplant ist außerdem, eine neue Müllkippe in unmittelbarer Nachbarschaft zur alten anzulegen, um so anderweitig nicht verwertbare Bestandteile der Siedlungs- und Industrieabfälle fach- und umweltgerecht einlagern zu können. Der Bedarf an zusätzlichen Flächen am Standort Vinca will die Stadt Belgrad durch eine Grundstückserweiterung um etwa 65 ha sicherstellen. Darüber hinaus sind Möglichkeiten zur Aufbereitung und Verwertung von Bau-/Abrissschutt und von Sperrmüll aus Haushalten ebenso vorgesehen wie auch eine Kompostierungsanlage für Garten- und Grünabfälle.

Während diese angeführten Aspekte für das zukünftige Management des Belgrader Mülls überwiegend Vinca betreffen, zielen weitere Maßnahmen auf das unmittelbare Stadtgebiet von Belgrad ab. Für dieses sind beispielsweise drei Müllumschlagstationen geplant – eine für die Stadtbezirke Zemun, Surcin und Novi Beograd, eine weitere für Cukarica, Rakovica und Vozdovac sowie eine für die Vorstadtbezirke Sopot und Mladenovac. Hinzu kommen insgesamt 14 über das gesamte Stadtgebiet verteilte Recyclinghöfe. Die Belgrader Stadtverwaltung beziffert den gesamten finanziellen Aufwand für das Vinca-Projekt auf etwa 250 Mio. Euro.

Laut dem für die serbische Hauptstadt maßgeblichen lokalen Abfallbewirtschaftungsplan für den Zeitraum 2011 bis 2020 wird damit gerechnet, dass der Anteil der Privathaushalte, in denen der Müll mehr oder weniger organisiert eingesammelt wird, in Belgrad zwischen 2013 und 2019 von 85 auf 100% zunimmt. Zudem soll erreicht werden, dass die Verursacher ihren Müll gezielter als bisher trennen. Somit könnte die entsprechende Quote von aktuell durchschnittlich 5% des in den Haushalten anfallenden Mülls bis 2020 auf etwa 20% steigen. Außerdem wird laut dem Strategiedokument unterstellt, dass sich die Müllmenge in Belgrad alle vier bis fünf Jahre um 10% erhöht. Für den Entsorgungs- und Verwertungskomplex Vinca würde dies im Jahr 2020 schätzungsweise auf ein Aufkommen an Abfällen von knapp 588.000 t und im Jahr 2032 auf knapp 686.000 t hinauslaufen.

Die verfügbaren Schätzungen zur Entwicklung des für die Deponie Vinca relevanten Müllaufkommens basieren auf Datenmaterial einer Erhebung für das Jahr 2009. Demnach haben seinerzeit rund 570.000 erfasste Privathaushalte im Einzugsbereich der Metropolregion Belgrad täglich insgesamt 1.801 t an Siedlungsmüll „produziert“, was einer Menge von etwa 660.000 t auf Jahresbasis gleichkam. Bei einer Bevölkerung von damals knapp 1,6 Mio. Einwohnern entsprach dies durchschnittlich 1,14 kg Abfall pro Kopf der Bevölkerung.

Darüber hinaus bezifferte Serbiens Statistikamt die Menge der landesweit anfallenden Industrieabfälle für das Jahr 2013 auf gut 58,4 Mio. t (Zunahme gegenüber 2012: 6,1%). Als Hauptverursacher galt der Bergbau, auf den allein ein Anteil von 87% entfiel. Mit einem Anteil von gut 98% gelangte 2013 das Gros der im Industriebereich anfallenden Müllmengen auf Deponien. Die Recyclingquote für industrielle Abfälle belief sich auf lediglich knapp 2%.

Jan Triebel, GTAI

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